Zähl nicht die Stunden
nämlich diejenige , der nur noch eine begrenzte Zeit bleibt , sich gut zu fühlen , und ich möchte diese Zeit nicht mit jemandem verbringen, an dessen Seite ich mich schlecht fühle.«
»Mein Gott, Mattie, ich hatte nie die Absicht , dir wehzutun.«
»Deine Absichten sind mir scheißegal!«, schrie Mattie. »Ich will deine Leidenschaft. Ich will deine Loyalität. Ich will deine Liebe. Und wenn du mir diese Dinge nicht geben kannst , wenn du nicht wenigstens vortäuschen kannst, und zu lieben«, sagte sie, wieder dieses Wort
gebrauchend , »in dieser kurzen Zeit , die mir noch bleibt, dann will ich dich hier nicht haben.«
Danach schwiegen sie beide und sahen einander nicht an. Mattie
starrte auf die Fenster hinter Jakes Rücken, Jake auf die Rothenberg Lithographie hinter Matties rechter Schulter. Was für eine Ironie, ging es Mattie durch den Kopf. Sie, die nicht länger so tun konnte als ob,
verlangte von ihrem Mann, genau dies zu tun. Nur für ein oder zwei
oder drei oder fünf Jahre? War das wirklich so viel verlangt? War sie wirklich so schwer zu lieben?
Für ihren Vater war sie es offensichtlich gewesen. Er hatte sich aus ihrem Leben verabschiedet und sich nie wieder um sie gekümmert. Jahre später war es ihr gelungen , ihn in einer Künstlerkolonie in Santa Fe aufzuspüren , und sie hatte ihn angerufen und gefragt, warum er nicht ein einziges Mal versucht hatte, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Ihm war
nichts Besseren eingefallen . als unverbindlich zu sagen, so sei es das Beste, schlafende Hunde soll man nicht wecken, eine Wendung , die ihre Mutter gewiss zu würdigen gewusst hätte , wenn Mattie ihr von dem Gespräch erzählt hätte. Aber auch ihre Mutter hatte sie ja längst
verlassen , emotional jedenfalls, wenn auch nicht körperlich. Und Jake hatte sie einzig deshalb geheiratet, weil sie schwanger gewesen war. Tja, von Liebe geradezu umzingelt.
Was würde sie tun, wenn Jake jetzt aus dem Sessel aufstand und ging?
Lisa anrufen? Fragen, ob sie ihren Mann ausleihen könnte? Oder
Stephanie? Fragen, ob Enoch einen Freund hätte? Oder Roy Crawford?
Denk bloß mal dran, wie dieser Mann auf einen Rollstuhl reagieren
würde, dachte sie, zu müde, um zu lachen. Und zu heftig von Angst
geplagt.
Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie tatsächlich in einem Rollstuhl sitzen würde. Und dann? Professionelle Pflege war teuer. Sie würde sich das nicht leisten können. Und der nächste Schritt? Ein Pflegeheim? Ein staatliches Krankenhaus? Ein Ort, wo man sie abgeben und letztlich
vergessen konnte? Kein Mensch hatte Lust, seine Zeit mit einer Frau zu verbringen, die einen mit jedem Atemzug an die eigene Sterblichkeit erinnerte. Jake war wenigstens bereit gewesen zu bleiben. Was spielten seine Motive schon für eine Rolle? Was bildete sie sich ein, so hochmütig und so töricht zu sein?
»Könntest du das, Jake?« Matties Stimme war dünn und klein, aber ihr Ton erstaunlich hartnäckig. »Könntest du vortäuschen , mich zu lieben?«
Jake starrte Mattie an. Es kam ihr vor wie eine Ewigkeit. Sein sonst so ausdrucksstarkes Gesicht war völlig leer. Langsam stand er auf und ging zu ihr. Vor ihr blieb er stehen und bot ihr die Hand. »Komm, gehen wir zu Bett«, sagte er.
Sie schliefen nicht miteinander.
Für diesen Abend reichte es an sexuellen Aktivitäten, da waren sie
sich beide einig. Mattie zog ihren Morgenrock aus, ließ ihn zu Boden fallen und kroch ins Bett, während Jake zum Fenster ging.
»Bitte lass es zu«, sagte Mattie. »Es ist so kalt draußen.«
Jake zögerte. Einige Sekunden lang blieb er wie gelähmt vor dem
Fenster stehen, stumm mit schwankendem Körper.
»Ist was?«
Jake schüttelte den Kopf. Dann ging er vom Fenster weg und kleidete
sich schnell aus bis auf seine Shorts, ehe er zu ihr ins Bett kam. Mattie spürte, wie die Matratze unter seinem Gewicht einsank. Er streckte sich aus, den Kopf auf dem Kissen, und starrte mit weit offenen Augen zur Zimmerdecke hinauf.
Er denkt darüber nach, was er hier tut, sagte sich Mattie, die ihn
beobachtete. Er versucht zu begreifen, wie er wieder in dieser
verunglückten Ehe gelandet ist, aus der er sich endlich befreit zu haben glaubte, und er versteht nicht, was geschehen ist. Wäre es dir eine Hilfe zu wissen, dass ich es genauso wenig verstehe wie du? hätte Mattie ihn gern gefragt und fühlte sich plötzlich unglaublich müde. Kannst du so tun als ob, Jake?, fragte sie stumm. Kannst du vortäuschen, mich zu lieben?
Als hätte er
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