Zähl nicht die Stunden
ihre Gedanken erraten, drehte Jake sich auf die Seite, sodass er sie ansehen konnte. Er küsste sie weich auf den Mund. »Dreh dich um«, sagte er liebevoll. »Dreh dich um, dann halte ich dich im Arm.«
Anfangs glaubte Mattie, die Geräusche wären Teil ihres Traums. Sie
wurde von einem jungen Schwarzen, der mit langer, gespaltener Zunge
wie eine Schlange nach ihr schnappte und sie einzufangen suchte, durch die Straßen von Evanston gejagt. Verzweifelt versuchte sie, ihm zu
entkommen, während sie immer krampfhafter um Atem rang, bis ihr
Keuchen so laut war wie ihre Schritte auf dem harten Pflaster. »Nein!«, stieß sie zwischen steifen Lippen hervor. »Nein!«
Plötzlich fand sich eine Menschenmenge ein, und Mattie merkte, dass
sie nackt war. Auch der Schwarze, der sie hetzte, war nackt. Seine langen muskulösen Beine kamen immer näher, und er streckte die Arme aus,
um nach ihr zu schlagen. Sie spürte einen Faustschlag im Rücken, der ihr den Atem raubte , stolperte und stürzte. »Vorsichtig mit der Hauptgasleitung« , warnte irgendjemand laut. »Vorsicht , Gas!«
»Nein!« , schrie jemand anderes und schlug ihr auf den Arm. »Nein!«
Mattie riss mit Gewalt die Augen auf, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass Jake neben ihr laut stöhnte. Sie brauchte einen Moment, um zu erkennen, was los war, dass Jake neben ihr im Bett lag, dass ihre Träume sich miteinander verwoben, dass sie Teile seines Albtraums in ihren eigenen eingeflochten hatte.
»Kein Gas!«, murmelte er unaufhörlich. »Kein Gas!«, und schlug in
wachsender Panik um sich, sodass Mattie ausweichen musste, um nicht
weitere Schläge abzubekommen. »Nein. Kein Gas. Nicht! Nicht!«
»Jake«, sagte Mattie behutsam und berührte seine Schulter. Seine Haut war kalt und feucht unter ihren Fingern. »Jake, wach auf. Es ist nur ein Traum.«
Jake öffnete die Augen und starrte Mattie an, als hätte er sie nie gesehen.
»Du hattest einen Albtraum«, erklärte sie, während sie zusah, wie sein Gesicht sich bei der Rückkehr in die Realität veränderte. Er sieht richtig erleichtert aus, dachte Mattie und lächelte ihn in der Dunkelheit an. »Es hörte sich an, als wolltest du jemanden daran hindern, das Gas
anzudrehen. Erinnerst du dich?«
Jake nickte. »Meine Mutter«, sagte er. Er setzte sich auf und schob sich das dunkle Haar aus der Stirn.
»Deine Mutter?«
Sein Blick flog zum Fenster. Mattie erwartete, dass er ihre Teilnahme mechanisch wie immer beiseite wischen würde, ihr sagen würde, sie solle weiterschlafen, es sei nicht der Rede wert. Aber zu ihrer Überraschung sagte er: »Als ich klein war, hat meine Mutter sich oft betrunken und dann gedroht, sie würde den Gasherd anmachen, und wir würden alle im Schlaf sterben.«
»Das ist ja furchtbar!«
»Es ist lange her. Man sollte meinen, ich wäre mittlerweile darüber hinweg.« Er versuchte zu lachen , aber es gelang ihm nicht. »Es tut mir Leid , dass ich dich geweckt habe.«
Mattie neigte sich zu ihm und wischte ihm mit der Hand den Schweiß
von der Stirn. Es gab so vieles , was sie von ihrem Mann nicht wusste –
vieles , was er ihr nie erzählt hatte. »Ist das der Grund –« , begann sie und brach ab , weil sich auf einmal die Dinge zusammenfügten.
Langsam schob sie sich von Jake weg , rutschte aus dem Bett und ging zum Fenster. Mit einer schnellen Bewegung zog sie den schweren hellen Vorhang auf und öffnete das Fenster. Die kalte Nachtluft sprang ins Zimmer wie eine hungrige Katze. Ohne ein Wort ging Mattie zum Bett
zurück und kroch zu ihrem Mann unter die Decke. »Dreh dich um« , flüsterte sie. »Dann halte ich dich im Arm.«
21
»Und wie fanden Sie den Artikel im Chicago -Magazin?«
Jake warf einen kurzen Blick auf die Zeitschrift auf seinem
Schreibtisch, bevor er die schöne junge Frau wieder ansah, die ihm
gegenüber saß. Ihr Name war Alana Istbister – » War bister« , hatte sie scherzend gemeint, als sie einander vorgestellt worden waren. »Ich bin geschieden.« Jake registrierte die offensichtliche Einladung und forderte die Reporterin des Now -Magazins lächelnd auf, Platz zu nehmen. Vor einem Jahr wäre ihm eine entsprechend witzige und verführerische
Replik eingefallen, ein beiläufig dahingeworfener Satz, der ihr
buchstäblich das Höschen vom Hintern charmiert hätte. Selbst vor
einem halben Jahr, auf dem Höhepunkt seiner Beziehung mit Honey,
wäre er versucht gewesen, darauf einzugehen. Doch heute hatte er weder die Energie noch die Kraft
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