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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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ohne sich die Mühe zu machen, ihre Verärgerung zu verbergen.
    Wieder legte sie wartend den Kopf zur Seite.
    »Nein, natürlich nicht«, sagte Mattie und stockte dann, unfähig
    weiterzusprechen. Wie erzählt man seiner Mutter, dass man stirbt, fragte sie sich – selbst einer Mutter, die die eigene Existenz kaum zur Kenntnis genommen hatte, als man noch lebte? »Ich muss dir etwas sagen.«
    »Na, dann los. Spuck’s aus. Sieht dir gar nicht ähnlich, diese
    Schüchternheit.«
    Woher willst denn du das wissen?, dachte Mattie, stellte die Frage
    jedoch nicht laut. »Erinnerst du dich an den Schauspieler aus einer der Seifenopern, die du dir immer ansiehst, Die Springfield-Story war es, glaube ich –«
    »Die Springfield-Story gucke ich nie«, verbesserte ihre Mutter sie. Nur General Hospital und Z eit der Sehnsucht. Oh, und manchmal Schatten der Leidenschaft, obwohl ich es unmöglich finde, wie sie die Geschichte immer endlos in die Länge ziehen.«
    »In einer der Serien hat jedenfalls ein Schauspieler mitgespielt - er ist vor kurzem an einer Krankheit namens amyotrophe Lateralsklerose
    gestorben«, sagte Mattie, das Ende des Satzes ihrer Mutter kaum
    abwartend. »Die Lou-Gehring-Krankheit«, fügte sie erklärend hinzu.
    Der Blick ihrer Mutter blieb aufreizend ausdruckslos, sodass Mattie sich nicht sicher war, ob ihre Mutter überhaupt eine Ahnung hatte,
    worauf sie hinauswollte.
    »O ja, an den erinnere ich mich, Roger Zaslow, nein Michael Zaslow,
    hieß er, glaube ich. Und du hast Recht – er hat bei Springfield-Story mitgespielt. Früher hieß es Die Springfield-Story, aber sie haben den Titel geändert. Warum, habe ich nie ganz begriffen. Sie haben gesagt, sie wollten die Serie moderner machen , mehr up to date. Ich verstehe allerdings nicht , wie man durch das Weglassen eines Artikels –«
    »Mutter –«
    »Ich habe im People -Magazin darüber gelesen« , fuhr ihre Mutter ohne Punkt und Komma fort. »Sie haben ihn gefeuert. Sie meinten , was würde ihnen ein Schauspieler nützen, der seinen Text nicht aufsagen kann oder etwas in der Richtung, jedenfalls laut People. Er war sehr verbittert darüber , habe ich gelesen , und ich kann es ihm , ehrlich gesagt , nicht verübeln. Eine schreckliche Krankheit« , murmelte sie , wandte den Blick ab, biss sich auf die Unterlippe und weigerte sich, das Offensichtliche zur Kenntnis zu nehmen und zu fragen, warum sie darüber sprachen.
    »Ich bin krank, Mama«, sagte Mattie und antwortete so auf die nicht
    gestellte, unerwünschte Frage. Sie beobachtete, wie ihre Mutter in ihrem Sessel erstarrte und ihr Blick glasig wurde wie immer, wenn sie mit unangenehmen Nachrichten konfrontiert wurde. Sie hatte kaum
    begonnen, da zog sich ihre Mutter bereits zurück, bemerkte Mattie,
    beugte sich auf dem Sofa vor und zwang ihre Mutter, sie direkt
    anzusehen. »Weißt du noch, als ich nach meinem Autounfall im
    Krankenhaus war?«
    Ihre Mutter reagierte mit einem kaum wahrnehmbaren Nicken.
    »Nun, im Krankenhaus haben sie eine Reihe von Tests durchgeführt
    und festgestellt , dass ich dieselbe Krankheit habe wie der Schauspieler aus Springfield Story.«
    Mattie hörte , wie ihrer Mutter der Atem im Hals stockte , obwohl ihr Gesicht unbeweglich blieb. »Die Ärzte sagen , dass sie kurz vor dem Durchbruch zu einer möglichen Heilung stehen, und hoffentlich –«
    Mattie hielt inne, räusperte sich und setzte neu an. »Realistischerweise«, sagte sie dann, »habe ich vielleicht noch ein oder zwei Jahre. Aber unter uns«, fügte sie flüsternd hinzu, »glaube ich nicht, dass es noch so lange dauern wird. Es passieren jeden Tag neue Dinge, als ob die Krankheit jetzt richtig in Fahrt kommen würde.«
    »Ich verstehe das nicht«, sagte ihre Mutter und starrte an Mattie
    vorbei aus dem Fenster auf die Straße , während ihre langen Finger bedächtig den Hund in ihrem Schoß kraulten. »Du wirkst vollkommen
    gesund.«
    »Im Moment funktioniere ich auch noch ganz gut. Ich kann meine
    Arme und Beine normal bewegen , aber das wird sich ändern. Die Zeitschrift , die mir eben entglitten ist – so etwas passiert mir in letzter Zeit immer häufiger. Bald werde ich nicht mehr laufen und nichts mehr mit meinen Händen machen können. Ich werde nicht mehr sprechen
    können. Na ja , den Rest weißt du ja.« Mattie versuchte, den Ausdruck im Gesicht ihrer Mutter zu deuten, doch ihre Miene hatte sich kaum
    verändert , seit sie Platz genommen hatte. »Geht es dir gut?«
    »Natürlich geht es mir nicht

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