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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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er laut, und der Klang seiner Stimme drängte ihn über die Schwelle , über die unsichtbare Grenze , die seine Gegenwart von seiner Vergangenheit trennte.
    Jake schlug die Augen auf und hörte seinen abgerissenen Atem von
    den Wänden des engen Hotelzimmers widerhallen. Es dauerte eine
    Minute , bis er wusste, wo er war, wer er war. Du bist Jake Hart, sagte er sich. Erwachsen. Anwalt. Ehemann. Vater. Du bist kein verängstigter
    kleiner Junge mehr. Du bist groß und stark. Und noch immer
    verängstigt , noch immer panisch auf der Flucht , gestand Jake sich ein , wischte sich den Schweiß von der Stirn und atmete tief aus. Wie lange hatte er die Luft angehalten, fragte er sich.
    Dein ganzes Leben lang, sagte die leise Stimme.
    Jake sah zu Mattie, die neben ihm in dem altmodischen französischen
    Bett schlief. Wenn die Franzosen von irgendetwas behaupteten, es atme den Charme der Alten Welt, könne man das getrost als ›klein und einfach nur alt‹ übersetzen , hatte Mattie ihm erklärt. Jake lächelte und spürte ihre warmen Beine an seinen. Die erzwungene Intimität eines altmodischen
    französischen Doppelbetts hatte einiges für sich.
    »Was für ein Tag«, sagte Jake laut und bemühte sich, Mattie nicht aufzuwecken, als er aus dem Bett stieg und ans Fenster mit Blick auf die Straße trat. Paris war eine wirklich erstaunliche Stadt. Darin hatte Mattie Recht gehabt , wie in so vielen anderen Dingen auch. Er hätte schon Vorjahren auf sie hören sollen , als sie zum ersten Mal vorgeschlagen hatte , hierher zu kommen, zu einer Zeit, da ihre Beweglichkeit noch ebenso uneingeschränkt war wie ihr Enthusiasmus. Dann hätten sie
    nicht auf einen vollen , langsamen Aufzug warten müssen, der sie auf die Spitze des Eiffelturms trug. Sie hätte ihn zu einem Rennen bis ganz nach oben herausgefordert. Und gewonnen.
    »Fang nicht an, dich schuldig zu fühlen«, hatte sie ihm, seine
    Gedanken lesend, erklärt, als sie auf der obersten Aussichtsplattform des Turms gestanden und das atemberaubende Panorama von Paris bei
    Nacht bewundert hatten. »Ich habe eine wunderschöne Zeit. Schöner
    könnte es gar nicht sein.«
    »Schöner als die Bootstour?«, fragte er scherzend, und dann hatten sie gelacht wie so oft dieser Tage. (»Warum heißen die Boote Bateaux
    Mouches?«, hatte er mit einem Blick in sein Taschenlexikon gefragt, als sie am frühen Abend zu einer einstündigen Tour auf der Seine an Bord eines Schiffes gegangen waren. »Heißt das nicht Schiffsmücken?« Als er und Mattie zehn Minuten später mit den Händen Horden von fliegenden
    Insekten aus ihren Gesichtern wedelten, wussten sie, warum.) Sie schien nie zu ermüden, obwohl ihr das Gehen sichtlich Mühe machte.
    Manchmal schleppte sie ihre Füße regelrecht nach. Trotzdem weigerte sie sich, Feierabend zu machen. Zum Abendessen gingen sie in ein volles Bistro an der Rue Jacob namens Le Petit Zinc, wo am Nebentisch ein junges Paar saß, das heftig miteinander schmuste. Schließlich war Jake derjenige, der auf vollkommene Erschöpfung plädierte. Sofort hakte sich Mattie bei ihm unter, und sie überquerten die viel befahrene Straße zu ihrem Hotel.
    Selbst um vier Uhr morgens war auf der Rue Jacob noch Betrieb,
    staunte Jake jetzt, als ein junger Mann in schwarzer Lederjacke und dunkelviolettem Helm auf einem Motorroller direkt unter dem Fenster hielt. Er blickte auf, als wüsste er, dass er beobachtet wurde, und winkte, als er Jake sah. Jake lächelte, winkte zurück, bis seine Aufmerksamkeit von einer kleinen Horde Teenager abgelenkt wurde, die, die Arme um
    die Hüften ihrer Freunde gelegt, munter lachend mitten über die Straße hüpften. An der Ecke schmiegte sich ein mittelaltes Paar unter der
    Markise eines geschlossenen Cafes aneinander. Schliefen die Pariser denn nie?
    Vielleicht hatten sie wie er Angst davor.
    Jake kehrte zum Bett zurück, setzte sich und beobachtete ein paar
    Minuten lang das stete Auf und Ab von Matties Atem, das
    wahrscheinlich dem Morphium zu verdanken war, das er ihr förmlich
    aufgenötigt hatte. Sie hatte protestiert. »Du musst schlafen , Mattie«, erklärte er ihr. »Du hast uns ein höllisch anstrengendes Programm
    zusammengestellt. Dafür wirst du all deine Kraft brauchen.«
    »Du bist alles, was ich brauche«, sagte sie, zog ihn in ihre Arme und führte ihn sanft in sich.
    Doch beim Höhepunkt hatte sie plötzlich Probleme, Luft zu
    bekommen, ihr Körper war in seinen Armen erstarrt, als sie mit hilflos rudernden Armen nach Atem

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