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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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über die auf dem Boden verstreuten Bücher und Spielsachen und schleuderte einen
    Schuh gegen die Kleiderschranktür. »Ihr werdet im Schlaf sterben. Ihr werdet nicht so leiden wie ich. Ihr werdet gar nicht wissen, wie euch geschieht.«
    »Nein!«, sagte Jake jetzt, schlug die Augen auf und sog Kraft aus Matties gleichmäßigem Atem. Er wollte sich nicht länger einschüchtern lassen. Es gab kein Gas. Es gab nichts, wovor er sich fürchten musste.
    Er hatte eine Frau, die ihn liebte, die ihn besser kannte als jeder andere und trotzdem noch liebte. Weil er es verdient hatte, geliebt zu werden.
    Weil er dieser Liebe würdig war, begriff Jake zum ersten Mal. Wenn Mattie sich mit solchem Mut einer grausamen, ungerechten Zukunft
    stellen konnte, dann konnte er doch gewiss eine Vergangenheit
    bewältigen, der er schon viel zu lange Kontrolle über sein Leben
    eingeräumt hatte, einer Vergangenheit, an der er langsam erstickte.
    Er blickte zu Mattie. Es gibt keinen Grund, warum wir beide ersticken sollten, hörte er sie augenzwinkernd sagen.
    Und mit einem Mal war Jake in dem winzigen Zimmer auf den
    Beinen, ein erwachsener Mann mitten im Chaos, zwischen den
    Trümmern seiner Kindheit, und er lachte. Seine Mutter stand an der Tür und hatte ihm den Rücken zugewandt. Sein Gelächter erfüllte den
    ganzen Raum und versperrte seiner Mutter den Ausgang. Es war die
    Kraft seines Lachens, die sie an der Schulter packte und herumwirbelte.
    Wenn sie überrascht war, ihn zu sehen, ließ sie sich das nicht
    anmerken. Sie starrte ihren erwachsenen Sohn mit trunkener Trotzigkeit an. »Worüber lachst du?«, knurrte sie. »Was glaubst du, wer du bist, dass du mich auslachst?«
    »Ich bin dein Sohn«, erwiderte Jake schlicht. Eva Hart schnaubte, sichtlich unbeeindruckt. »Lass mich inRuhe«, sagte sie und wandte sich zur Tür.
    »Du gehst nirgendwohin«, erklärte Jake ihr.
    »Ich mache, verdammt noch mal, was ich will.«
    »Du gehst nirgendwohin« , wiederholte Jake und gab keinen
    Zentimeter Raum frei. »Niemand verlässt dieses Zimmer. Und niemand
    dreht das Gas auf.«
    Jetzt war es an seiner Mutter zu lachen. »Du willst mir doch nicht
    erzählen, dass du diese alberne Drohung ernst genommen hast. Du weißt doch, dass ich so was nie machen würde.«
    »Ich bin fünf Jahre alt, Mutter«, erwiderte der erwachsene Jake.
    »Natürlich nehme ich deine albernen Drohungen ernst.«
    »Nun, das solltest du nicht tun.« Seine Mutter lächelte beinahe kokett.
    »Du weißt doch, dass ich nie etwas tun würde, was dir wehtun könnte.
    Du warst immer mein Liebling.«
    »Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich hasse?«, fragte Jake. »Wie sehr ich dich immer gehasst habe?«
    »Also wirklich, Jason. Was sind denn das für Töne gegenüber deiner
    Mutter? Du bist wirklich ein sehr böser Junge, Jason.«
    Böser Jason, böser Jason, böser Jason.
    Böserjason, böserjason, böserjason.
    »Ich bin kein böser Junge«, hörte Jason sich sagen.
    »Du nimmst alles viel zu ernst. Das hast du schon immer getan.
    Komm schon, Jason. Sei kein Jammerlappen. Du hörst dich ja bald an
    wie deine Brüder.«
    »Das Einzige, was mit meinen Brüdern verkehrt war, war ihre
    Mutter.«
    »Nun, das ist aber wirklich nicht nett, oder? Ich meine, so eine
    schlechte Mutter war ich nun auch wieder nicht. Sieh dich an. Aus dir ist doch was geworden.« Sie zwinkerte. »Irgendwas muss ich wohl richtig gemacht haben.«
    »Das Einzige , was du je richtig gemacht hast , ist zu sterben.«
    »O je, sind wir aber melodramatisch. Vielleicht sollte ich doch gehen und das Gas aufdrehen.« »Du hast uns lange genug terrorisiert. Verstehst du?« Jake drückte den Arm seiner Mutter so fest , dass er spürte , wie seine Fingerspitzen sich durch ihre Haut berührten.
    »Lass mich los« , protestierte seine Mutter. »Ich bin deine Mutter , verdammt noch mal. Wie kannst du es wagen , so mit mir zu reden?«
    »Du bist bloß eine brutale Säuferin. Du kannst mir nicht mehr
    wehtun.«
    »Lass meinen Arm los. Geh mir aus dem Weg« , sagte Eva Hart , doch ihre Stimme wurde schwächer, ihr Bild verwischte an den Rändern wie eine Kreidezeichnung und wurde mit jedem Wort blasser.
    »Du hast keine Macht mehr über mich«, sagte Jake mit seiner eigenen
    Stimme , klar und fest.
    Ein fragender Ausdruck huschte über ihre haselnussbraunen , kokett aufgeschlagenen Augen , und dann war sie verschwunden.
    Jake stand etliche Sekunden vollkommen reglos und genoss die Stille, bevor er ins Bett zurückkehrte,

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