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Zähl nicht die Stunden

Titel: Zähl nicht die Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joy Fielding
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ausziehe«, sagte er.
    Sie wurde bleich , und die nuancenreichen Blau- und Violetttöne der Blutergüsse in ihrem Gesicht traten so stark hervor, dass sie einem Porträt eines dieser deutschen Expressionisten glich, für die sie so sehr schwärmte.
    »Wenn es hier um den Vorfall bei Gericht geht –«
    »Nein, darum geht es nicht.«
    »Ich habe mich entschuldigt.«
    »Darum geht es nicht!«
    »Worum geht es dann?« Ihr Mund war starr, ihre Stimme ohne
    Ausdruck.
    »Es geht nicht um Schuld. Keiner hat Schuld.« Er versuchte, in die
    Rede hineinzufinden, die er seit Wochen geprobt hatte.
    »Worum geht es dann?«, wiederholte sie.
    Jake sah, wie sie sich an die Wand sinken ließ, als brauchte sie Halt.
    Würde sie etwa ohnmächtig werden?
    »War’s nicht besser, du würdest dich setzen?«
    »Ich möchte mich nicht setzen!« Sie spie ihm die einzelnen Wörter ins Gesicht. »Ich kann nicht glauben, dass dir das gerade jetzt einfällt.«
    »Ich gehe ja nicht sofort. Erst in ein paar Tagen«, fügte er
    beschwichtigend hinzu, als sie seine Worte mit einer wegwerfenden
    Handbewegung und einem Kopfschütteln abtat.
    »Ich bin gerade erst aus dem Krankenhaus gekommen! Ich hatte
    einen Autounfall, oder hast du das vergessen? Ich bekomme kaum Luft.«
    Ich bekomme auch kaum noch Luft, hätte Jake am liebsten
    geschrieen. Stattdessen sagte er: »Es tut mir Leid.«
    »Es tut dir Leid?«
    »Ich wollte, die Dinge lägen anders.«
    »Ja, das sieht man«, höhnte Mattie und zog mit ihrer blaugrün
    verfärbten Hand so gewaltsam an ihrem Haar, als wollte sie es sich
    ausreißen. »Also, dann lass mich mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe«, begann sie, ohne ihm die Chance zu einem Einwurf zu lassen.
    »Du verlässt mich, aber es hat überhaupt nichts mit der Szene zu tun, die ich neulich im Gerichtssaal hingelegt habe. Die war wahrscheinlich nur der Auslöser. Niemand hat Schuld, es geht hier nicht um Schuld.
    Richtig? Und es tut dir Leid, aber du musstest es mir gleich nach meiner Heimkehr aus dem Krankenhaus sagen, du weißt, dass der Moment
    schlecht gewählt ist, aber für so etwas gibt es nun mal keinen guten Moment. Na, liege ich so weit richtig? Ach ja, wir sind schon seit Jahren nicht glücklich, wir haben ja überhaupt nur geheiratet, weil Kim
    unterwegs war, wir haben uns nach Kräften bemüht, fünfzehn Jahre sind kein Pappenstiel. Wir sollten stolz sein, nicht traurig. Richtig? Das ist für uns beide die beste Lösung. Ja, wahrscheinlich tust du mir sogar einen Gefallen.« Sie machte eine Pause und zog eine Augenbraue hoch. »Was
    meinst du? Bin ich auf dem richtigen Weg?«
    Jake stieß einen Schwall angehaltener Luft aus und sagte nichts. Wie hatte er so naiv sein können zu glauben, er würde unbeschadet aus dieser Diskussion hervorgehen? Mattie würde ihn nicht ungeschoren
    davonkommen lassen. Wenn er dieses Haus verließ, würde er so
    verwundet und zerschrammt sein wie sie.
    Mattie ging zum Kamin und lehnte sich, ihm den Rücken zugedreht,
    an den Sims. »Ziehst du zu deiner Geliebten?«
    Jake erstarrte. »Was?«
    »Du hast mich genau gehört.«
    Er sah zum Fenster hinaus, unsicher, wie er jetzt reagieren sollte. Was lief hier ab? Einen Ausbruch von Mattie hatte er erwartet, aber das nicht.
    Das gehörte nicht zum Drehbuch. Was sollte er ihr sagen? Wie viel sollte er ihr sagen? Wie viel wollte sie in Wirklichkeit wissen? Und wie viel wusste sie bereits?
    »Ich weiß nicht, ob ich dich recht verstanden habe?« Er musste Zeit
    schinden.
    Mattie drehte sich mit einem Ruck herum. Ihre Augen sprühten
    kampfbereit. »Bitte beleidige jetzt nicht auch noch meine Intelligenz.
    Glaubst du im Ernst, ich wüsste nichts von deiner neuesten Freundin?«
    Woher konnte sie davon wissen?, fragte sich Jake und verstand in
    diesem Moment nicht, wieso er so unvorbereitet in diese Konfrontation hatte hineingehen können. Jeder gute Anwalt bereitete sich auf eine
    Auseinandersetzung gründlich vor und trat mit allen relevanten Fakten zur Hand vor das Gericht , um keine unerfreulichen Überraschungen zu erleben. Trotzdem , woher konnte Mattie von Honey wissen? Wollte sie ihm vielleicht nur auf den Zahn fühlen? Sollte er fortfahren, den
    Verständnislosen zu spielen? Sie zwingen , Farbe zu bekennen?
    »Wie bist du dahinter gekommen?«, entschied er sich schließlich für
    Offenheit.
    »Wie ich immer dahinter gekommen bin.« Sie schüttelte voller
    Abscheu den Kopf. »Dafür, dass du so ein toller Anwalt bist, kannst du wirklich

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