Zaehme mich
du mir das nicht schon früher gesagt, Sarah? Das hätte uns viel Ärger erspart, meinst du nicht? Ich hatte schon immer den Verdacht, dass ich irgendwas falsch mache, und jetzt stellt sich raus, es ist wirklich so. Ich hab dir nicht genügend wehgetan.«
»Das ist es nicht.«
»Nein. Ich bin bloß nicht der, den du willst.«
Sarah presste die Lippen zusammen. Sie wollte nicht lügen, sie wollte aber auch nicht das Messer in der Wunde umdrehen. Also holte sie erst mal zwei Bier. Jamie leerte seins in weniger als einer Minute. Sarah gab ihm noch eins und noch eine Zigarette. Dabei glaubte sie einen Funken Wärme in seinen Augen zu erkennen. Das bewies ihr, dass er sich nicht ganz hinter einer Mauer aus Eis verschanzt hatte.
»Sei doch nicht so ablehnend«, sagte sie.
»Wie soll ich denn sonst sein?«
»Du könntest mein Freund sein und mich unterstützen.«
Er schnaubte. »Soll ich dir vielleicht gratulieren?«
»Hör mal, Jamie. Das ist vielleicht nicht, was du gern hören möchtest, aber ich kann dir versichern, es ist das größte Kompliment, das ich je ausgesprochen habe. Als Freund bist du mir eine Million Mal so viel wert wie als Liebhaber. Als Liebhaber gehörst du zu einem großen und nicht besonders ruhmreichen Haufen, doch als Freund bist du einmalig. Du bist mein einziger.«
Jamies Maske zerfiel. Er biss sich auf die Unterlippe, wischte sich die Augen. »Aber nicht mehr, oder? Jetzt hast du jemand anderen, der mehr ist als ein Liebhaber.«
»Ich weiß noch nicht, was er ist. Aber er ist auf jeden Fall nicht du.« Sarah legte ihm den Kopf auf die Schulter; er schlang den Arm um sie. »Und außerdem hast du auch jemand anders. Du bist verheiratet, du hast ein Kind, eine Familie und ein ganzes … Du hast ein ganz eigenes Leben, und ich habe nichts außer Träume, Arbeit und Sex.
Vielleicht möchte ich endlich zu jemandem gehören.«
»Ich … wahrscheinlich bin ich einfach der Meinung, dass du zu mir gehörst. Die letzten zwei Monate hatte ich das Gefühl, wir sind ein richtiges Paar. Wir gehen zusammen weg, wir sind eng befreundet, und wenn einer von uns einen Satz anfängt, dann kann ihn der andere praktisch zu Ende sagen. Und wir schlafen miteinander.
Ich meine, was ist der Unterschied zwischen dem, was wir haben, und einer richtigen Beziehung?«
»Das musst schon du mir erklären. Du kommst doch jeden Abend zu einer richtigen Beziehung nach Hause.«
Sie verfielen wieder in Schweigen. Sarah hatte eigentlich vorgehabt, sich alles auf einmal von der Seele zu reden, doch Jamie hatte ja schon bestürzt auf die Nachricht reagiert, dass es da überhaupt jemanden gab. Es würde ihm bestimmt den Rest geben, wenn sie ihm jetzt auch noch erzählte, wer dieser Jemand war. Außerdem machte ihre Beziehung zu Daniel auch nicht unbedingt rasende Fortschritte. Wenn es so weiterging wie bisher, würde er wahrscheinlich erst in hundert Jahren mit ihr Sex haben. Sarah beschloss, dass sie noch damit warten konnte, sich öffentlich zu Daniel Carr als der Liebe ihres Lebens zu bekennen – so lange zumindest, bis er es über sich gebracht hatte, sie zu vögeln.
Während des langen Schweigens zog sich Jamie an, und Sarah beobachtete ihn. Als er sich auf das Sofa setzte, um seine Schuhe zu schnüren, ging sie auf die Knie und küsste ihn mehrmals auf Arme und Hände. Kichernd gab er ihr einen Klaps, und sie band ihm die Schuhe, während er ihr das Haar streichelte.
»Also«, sagte er und nahm ihre Hände, »wer ist dieser außerordentlich glückliche Mann?«
Scheiße. Ihr Plan, nichts zu sagen, hing davon ab, dass er nicht fragte. Sie konnte ihn nicht belügen. Sie konnte es nicht. Scheiße.
»Du wirst ihn bald kennen lernen. Versprochen.«
»Ich freu mich schon.« Jamie hob ihre Hände zum Mund und küsste sie nacheinander. »Wie heißt er?«
Scheiße. Scheiße. Scheiße. Sarah räusperte sich.
»Daniel.«
Jamie blieb eine Zeit lang still. Sarah hoffte verzweifelt, dass er sich nicht mehr erinnerte, dass er keine Verbindung herstellte. Sie hielt den Atem an, bis er sprach.
»Daniel und wie noch?«
Sarah kletterte neben ihm aufs Sofa und legte sich seinen Arm um die Schultern. Sie umschlang seine Taille und drückte ihn fest an sich. »Carr.« Mit leiser Stimme.
Wieder lange, atemlose Stille. Dann: »Carr ist wahrscheinlich ein ziemlich verbreiteter Name, aber es ist trotzdem ein irrer Zufall.«
»Jamie.« Sarah kostete seinen Namen, als sie ihn aussprach. Er schmeckte nach Salz. »Es ist kein
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