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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Ablehnungen von früher waren vergessen. Psychologisch beruhte sein Erfolg auf dem Duell mit Tommy Barban, auf dem er eine neue Selbstachtung aufgebaut hatte, die um so frischer wurde, je weiter es in seiner Erinnerung versank.
    Als er Dick Diver am zweiten Tag der Reise entdeckte, warf er ihm einen zögernden Blick zu, stellte sich freundlich noch einmal vor und setzte sich zu ihm. Dick legte seine Lektüre beiseite und nachdem er festgestellt hatte, dass der Mann seinen ärgerlichen Minderwertigkeitskomplex abgelegt hatte, fand er es angenehm, mit ihm zu reden. McKisco war über eine ganze Reihe von Themen »gut informiert«, vielleicht sogar noch mehr als Goethe. Es war amüsant, den vielen banalen Verquickungen zuzuhören, die er als seine Meinungen ausgab. Sie entwickelten eine gewisse Vertrautheit, und Dick nahm mehrere Mahlzeiten mit ihm und seiner Frau ein. Die McKiscos waren an den |316| Kapitänstisch gebeten worden, aber mit aufkeimendem Snobismus erklärten sie Dick, dass sie »diesen Haufen« nicht ausstehen könnten.
    Violet war jetzt sehr großartig, ausgestattet von den berühmtesten Couturiers und entzückt über die kleinen Entdeckungen, die höhere Töchter als Teenager machen. Sie hätte diese Dinge vielleicht schon bei ihrer Mutter in Boise lernen können, aber damals in Idaho war sie lieber ins Kino gegangen, um ihre Seele zu bilden, und für ihre Mutter hatte sie keine Zeit gehabt. Jetzt »gehörte sie dazu«   – zusammen mit einigen Millionen anderer Leute   – und sie war glücklich darüber, obwohl ihr Mann ihr immer noch den Mund verbot, wenn ihre Naivität allzu krass wurde.
    Die McKiscos stiegen in Gibraltar aus. Am nächsten Abend war Dick in Neapel, und im Bus vom Hotel zum Bahnhof sammelte er eine unglückliche kleine Familie von zwei Mädchen und ihrer Mutter auf. Er hatte sie schon auf dem Schiff gesehen. Ihn überkam ein überwältigendes Bedürfnis, zu helfen und dafür bewundert zu werden, und er zeigte ihnen, wie man sich amüsiert. Versuchsweise lud er sie auf ein Glas Wein ein und sah mit Freude, wie sie ihren normalen Selbsterhaltungstrieb wiedergewannen. Er tat so, als wären sie dies oder jenes, verfing sich aber in seiner eigenen Scharade und trank zu viel, um die Illusion aufrechterhalten zu können. Trotzdem dachten die Frauen die ganze Zeit nur, was für ein Glücksfall er doch für sie war. Als die Nacht allmählich verblasste und der Zug durch Cassino und Frosinone ratterte, zog er sich zurück. Nach einem seltsamen, sehr amerikanischen Abschied auf dem Bahnhof in Rom fuhr Dick leicht erschöpft ins »Hotel Quirinal«.
    Am Empfang riss er plötzlich die Augen auf und den Kopf hoch. Als hätte er gerade einen Schnaps getrunken, |317| der die Innenwand seines Magens aufheizte und eine Stichflamme in sein Gehirn schickte, erblickte er im Spiegel eben die Person, die er sehen wollte und deretwegen er das Schiff nach Neapel genommen hatte.
    Rosemary sah ihn fast gleichzeitig und nickte ihm zu, noch ehe sie ihn ganz erkannt hatte; sie schaute ihn fast erschrocken an, ließ das Mädchen stehen, mit dem sie zusammen war, und kam zu ihm herübergerannt. Er richtete sich auf, hielt die Luft an und drehte sich um.
    Als sie wie ein frisch gestriegeltes junges Pferd mit polierten Hufen durch die Halle herangaloppiert kam, verpasste ihre Schönheit ihm einen solchen Schock, dass er mit einem Schlag wieder wach war; dennoch kam alles so rasch, dass er die größte Mühe hatte, seine Müdigkeit zu verbergen. Um ihrem Selbstvertrauen und ihren leuchtenden Augen zumindest irgendetwas entgegenzusetzen, flüchtete er sich in eine kleine Überraschungspantomime, als wollte er sagen: Das hätte ich mir denken können, dass ausgerechnet du hier auftauchen musst!
    Ihre in Handschuh gekleideten Finger schlossen sich über seiner auf dem Empfangstisch liegenden Hand. »Dick! Wir drehen gerade ›The Grandeur that was Rome‹   – also wir wollen das jedenfalls. Aber es kann auch jeden Tag Schluss sein.«
    Er sah sie scharf an, um sie ein bisschen verlegen zu machen, damit sie sein unrasiertes Gesicht, den zerknitterten Kragen und das Hemd nicht so genau ansah, in dem er geschlafen hatte.
    Aber sie hatte es zum Glück ohnehin eilig. »Wir fangen früh an, weil es von elf an dunstig wird   – ruf mich um zwei an.«
    Erst in seinem Zimmer kam Dick zur Besinnung. Er sagte |318| Bescheid, dass er zu Mittag geweckt werden wollte, riss sich die Kleider herunter und tauchte in einen schweren

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