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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Schlaf.
    Den Weckruf verschlief er, wachte aber um zwei recht erfrischt auf. Er packte seinen Koffer aus, übergab seine Anzüge und seine Wäsche dem Personal, rasierte sich, legte sich eine halbe Stunde lang in ein heißes Bad und frühstückte ausgiebig. Die Sonne hing schon in der Via Nazionale, und als er sie hereinließ, klirrten die alten Messingringe des Vorhangs. Während er darauf wartete, dass sein Anzug gebügelt wurde, las er im ›Corriere della Sera‹, dass gerade ein Roman mit dem Titel ›Wall Street‹ von Sainclair Lewis erschienen sei,
»nella quale l’autore analizza la vita sociale di una piccola città Americana«.
Dann versuchte er, über Rosemary nachzudenken.
    Zuerst dachte er gar nichts. Sie war jung und magnetisch, aber das war Topsy auch. Er ging davon aus, dass sie in den vergangenen drei Jahren Liebhaber gehabt und auch geliebt hatte. Nun ja, man wusste nie, wie viel Raum man im Leben der anderen einnahm. Dennoch erwuchs sein Begehren gerade aus diesem undurchsichtigen Nebel   – die besten Beziehungen sind die, bei denen man die Hindernisse kennt, aber die Beziehung doch aufrechterhalten will. Die Erinnerung an die Vergangenheit kehrte zurück, und er wünschte sich, er könnte ihre offensichtliche Hingabe in die kostbare Schale zurückdrängen und gänzlich umschließen, sodass es sie außerhalb seiner selbst nicht mehr gab. Er versuchte, sich alles aufzuzählen, was an ihm für sie anziehend sein könnte   – es war weniger als vor drei Jahren. Eine Achtzehnjährige mochte einen Sechsunddreißigjährigen im aufsteigenden Nebel der Adoleszenz sehen; mit einundzwanzig dagegen würde sie einen Neununddreißigjährigen mit größerer Klarheit durchschauen. Obendrein war Dick |319| bei ihrer ersten Begegnung auf einem emotionalen Höhepunkt gewesen und sein Gefühlsleben hatte seither manche Wunde erlitten.
    Als sein Anzug zurückkam, zog er ein weißes Hemd, einen steifen Kragen und eine schwarze Krawatte mit einer Perle an; die Schnur seines Zwickers war mit einer weiteren Perle von ähnlicher Größe bestückt, die er lässig ein paar Zentimeter tiefer herumbaumeln ließ. Jetzt, wo er geschlafen hatte, zeigte sein Gesicht wieder das kräftige Braun der vielen Sommer an der Riviera, und um sich richtig in Schwung zu bringen, machte er noch einen Handstand auf einem der Stühle, wobei ihm allerdings sein Füllfederhalter und einige Münzen herausfielen. Um drei rief er bei Rosemary an und wurde hinaufgebeten. Wegen eines leichten, von seiner Turnerei verursachten Schwindelgefühls legte er noch einen Zwischenstopp in der Bar ein, um einen Gin Tonic zu sich zu nehmen.
    »
Hi
, Doktor Diver!«
    Nur weil er wusste, dass Rosemary hier im Hotel war, gelang es Dick, in dem Mann sofort Collis Clay zu erkennen. Er hatte sein altes Selbstvertrauen, eine Aura von Prosperität und etwas vorzeitige Hängebacken.
    »Wissen Sie, dass Rosemary hier ist?«, fragte der junge Mann.
    »Ich bin heute Morgen zufällig auf sie gestoßen.«
    »Ich hab in Florenz gehört, dass sie hier ist, und bin gleich mal runtergefahren. Man erkennt Mamas kleines Mädchen kaum wieder.« Er modifizierte seine Bemerkung sofort: »Ich meine, sie ist so behütet erzogen worden, und jetzt ist sie eine Frau von Welt   – Sie wissen schon, was ich meine. Glauben Sie mir, sie hat diese römischen Jungs alle im Sack! Aber total!«
    |320| »Studieren Sie in Florenz?«
    »Ich? Ja, klar. Ich studiere Architektur. Am Sonntag fahre ich wieder zurück   – ich bleibe noch wegen der Pferderennen.«
    Nur mit Mühe konnte ihn Dick davon abhalten, den Gin Tonic auf seine Rechnung zu übernehmen, auf die er so stolz war wie auf ein Aktiendepot.

20
    Dick verließ den Aufzug, folgte einem gewundenen Korridor und einer entfernten Stimme zu einer beleuchteten Tür. Rosemary trug einen schwarzen Hausanzug und trank ihren Kaffee; der Klapptisch vom Mittagessen stand noch im Zimmer.
    »Du bist immer noch schön«, sagte er. »Noch ein bisschen schöner als früher.«
    »Mögen Sie einen Kaffee, junger Mann?«
    »Tut mir leid, dass ich heute Morgen so derangiert war.«
    »Du hast erschöpft ausgesehen   – geht es dir jetzt wieder besser? Willst du Kaffee?«
    »Nein, danke.«
    »Also geht’s dir wieder gut, heute Morgen hast du mir Angst gemacht. Meine Mutter kommt nächsten Monat herüber   – wenn die Truppe noch bleibt. Sie fragt mich immer, ob ich dich hier getroffen hätte, so als wohnten wir Tür an Tür. Meine Mutter hat dich

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