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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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jetzt ihren Fehler, aber sie hatte nun mal den falschen Weg eingeschlagen, und Nicole setzte nach: »Was hat dir dann leid getan?«
    Käthe hatte keine andere Wahl, als zu antworten.
    »Es geht nicht um Dick. Ich muss mit Franz reden.«
    »Bestimmt geht es doch um Dick«, sagte Nicole. Panische Angst stand in ihrem Gesicht, und parallel dazu sahen auch ihre Kinder erschrocken aus.
    Daraufhin brach Käthes Widerstand völlig zusammen: »Dein Vater ist krank in Lausanne   – Dick will darüber mit Franz reden.«
    »Sehr krank?«, fragte Nicole   – genau in dem Moment, in dem Franz mit seiner herzhaften Krankenhausmiene herantrat. |380| Dankbar überließ Käthe ihm die Verantwortung, aber der Schaden war bereits angerichtet.
    »Ich fahre nach Lausanne«, verkündete Nicole.
    »Moment mal«, sagte Franz. »Ich weiß nicht, ob das ratsam ist. Ich will erst mit Dick reden.«
    »Dann verpasse ich die Bahn«, protestierte Nicole. »Und dann verpasse ich den Drei-Uhr-Zug in Zürich! Wenn mein Vater im Sterben liegt, dann muss ich   –« Sie ließ den Satz in der Luft hängen, weil sie Angst hatte, ihn zu Ende zu bringen. »Ich
muss
fahren. Und jetzt muss ich los, damit ich den Zug noch erwische!« Noch während sie das sagte, rannte sie bereits in Richtung der kleinen Waggons, die den kahlen Hügel krönten, umgeben von Dampf und Getöse. Über die Schulter rief sie zurück: »Sag Dick, dass ich komme, wenn du mit ihm telefonierst, Franz!«
     
    Dick saß in seinem Hotelzimmer und las den ›New York Herald‹, als die schwalbengleiche Nonne hereinflog und gleichzeitig das Telefon klingelte.
    »Ist er tot?«, fragte Dick voller Hoffnung die Nonne.
    »
Monsieur, il est parti
– er ist weg.«
    »Comment?«
    »
Il est parti   –
er ist abgereist, und sein Gepäck und sein Diener sind auch weg.«
    Es war unglaublich. Ein Mann in diesem Zustand war aufgestanden und weggegangen.
    Dick nahm den Telefonhörer ab, es war Franz. »Du hättest es Nicole nicht erzählen dürfen«, protestierte er.
    »Käthe hat es ihr dummerweise erzählt.«
    »Wahrscheinlich war es mein Fehler. Einer Frau darf man nie etwas sagen, ehe es nicht geschehen ist. Nun ja, ich werde Nicole am Bahnhof abholen   … Hör mal, Franz, hier |381| ist eine total verrückte Sache passiert   – der alte Knabe hat Nimm-dein-Bett-und-wandle gespielt   …«
    »Wie bitte? Was hast du gesagt?«
    »Ich habe gesagt, er ist weggegangen. Der alte Warren ist abgehauen!«
    »Und warum sollte er das nicht tun?«
    »Weil es hieß, dass er sterben würde. Ein allgemeiner körperlicher Zusammenbruch. Stattdessen ist er aufgestanden und abgereist, wahrscheinlich zurück nach Chicago   – die Krankenschwester ist gerade bei mir   … Ich weiß nicht, Franz, ich hab es selbst gerade erst gehört   … Ruf mich später noch einmal an!«
    Die nächsten zwei Stunden verbrachten sie damit, Warrens Aktivitäten nachzuverfolgen. Der Patient hatte den Wechsel zwischen der Tages- und Nachtschwester ausgenutzt, um sich in die Bar des Hotels zu begeben, wo er hastig vier Whisky heruntergestürzt hatte; seine Hotelrechnung hatte er mit einem Tausend-Dollar-Schein bezahlt und den Portier gebeten, ihm das Wechselgeld nachzuschicken. Dann war er abgereist, vermutlich in Richtung Amerika.
    Dick und Dangeu unternahmen noch einen Versuch, ihn am Bahnhof abzufangen, aber das führte nur dazu, dass Dick seine Frau dort verpasste; und als sie sich schließlich in der Hotelhalle trafen, war sie sehr müde und ihre Lippen waren so streng geschürzt, dass er ziemlich beunruhigt war.
    »Wie geht es Vater?«, fragte sie.
    »Viel besser. Er hatte offenbar noch eine Menge Kraftreserven.« Er zögerte, um es ihr möglichst schonend beizubringen. »Genauer gesagt: Er ist aufgestanden und abgereist.«
    Dick brauchte jetzt einen Drink, denn die Jagd nach Warren hatte ihn um das Abendessen gebracht. Er führte |382| die verdutzte Nicole in den Grillroom. Sie setzten sich in zwei Ledersessel, Dick bestellte einen Highball und ein Glas Bier und fuhr fort: »Sein Arzt hat wohl eine falsche Prognose gestellt oder so etwas   – warte mal, ich habe selbst noch gar nicht so richtig darüber nachgedacht.«
    »Er ist
weg

    »Den Abendzug nach Paris hat er genommen.«
    Sie saßen schweigend da. Nicole verströmte eine unermessliche, tragische Apathie.
    »Es war Instinkt«, sagte Dick schließlich. »Er lag wirklich im Sterben, aber er hat offenbar zum Rhythmus des Lebens zurückgefunden   – er ist

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