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Zaertlich ist die Nacht

Zaertlich ist die Nacht

Titel: Zaertlich ist die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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Stuhl, dunkel, |446| narbig und attraktiv. Seine Augenbrauen waren nach oben gekräuselt, ein ernster Satan, ein kämpfender Puck.
    Noch ehe sie die Gläser ausgetrunken hatten, kamen sie abrupt in Bewegung, stürzten aufeinander zu und prallten stehend zusammen; dann saßen sie auf dem Bett, und er küsste ihre harten, erprobten Knie. Noch immer wehrte sie sich ein bisschen, wie ein geköpftes Tier, dann vergaß sie Dick und die neuen weißen Augen, vergaß sogar Tommy selbst und sank tiefer und tiefer in die Minuten und Augenblicke   …
     
    Als Tommy aufstand und den Fensterladen aufstieß, um festzustellen, woher das Getöse unter den Fenstern kam, sah sie, dass seine Figur dunkler und kräftiger war als die ihres Mannes. Die Muskelstränge glänzten im Licht. In diesem Augenblick hatte wahrscheinlich auch er sie vergessen   – fast in derselben Sekunde, in der sein Fleisch sich von ihrem löste, hatte sie einen Vorgeschmack davon bekommen, dass die Dinge anders sein würden, als sie gedacht hatte. Sie spürte die namenlose Furcht, die allen Gefühlen, ob sie nun freudig oder voll Schmerz sind, vorausgeht wie einem Gewitter der Donner.
    Tommy spähte vorsichtig vom Balkon und erstattete ihr dann Bericht. »Alles, was ich sehen kann, sind zwei Frauen auf dem Balkon unter uns. Sie reden über das Wetter und wippen auf amerikanischen Schaukelstühlen.«
    »Und die machen den ganzen Krach?«
    »Der Krach kommt von noch weiter unten. Hör nur.«
    Oh, way down South in the land of cotton
    Hotels bum and business rotten
    Look away   –
    |447| »Das sind ja Amerikaner.« Nicole breitete ihre Arme auf dem Bett aus und starrte an die Decke; der Puder auf ihrer Haut war feucht geworden und bildete eine milchige Schicht. Die Kahlheit des Zimmers gefiel ihr genauso wie das Summen der einzelnen Fliege, die über ihr durch den Raum kreuzte. Tommy brachte den Stuhl ans Bett und fegte die Kleider herunter, um sich zu setzen; ihr gefiel die Ökonomie, mit der sich ihr federleichtes Kleid und die Espadrilles auf dem Boden mit seinem Leinenzeug mischten.
    Er inspizierte ihren schlanken weißen Torso, an dem so abrupt die braunen Gliedmaßen und der braune Kopf ansetzten, und sagte mit einem ernsthaften Lachen: »Du bist ganz neu, wie ein Baby.«
    »Mit weißen Augen.«
    »Darum werd ich mich kümmern.«
    »Mit weißen Augen fertigzuwerden, ist schwer, besonders wenn sie in Chicago gemacht sind.«
    »Ich kenne eine Menge alte Hausmittel aus dem Languedoc.«
    »Küss mich auf die Lippen, Tommy.«
    »Das ist so amerikanisch«, sagte er, küsste sie aber trotzdem. »Als ich das letzte Mal in Amerika war, gab es da Mädchen, die haben dich mit ihren Lippen zerrissen   – und sich selbst auch. Ihre Münder waren blutige Klumpen   – aber sonst wollten sie nichts.«
    Nicole stützte sich auf einen Ellbogen. »Ich mag dieses Zimmer.«
    »Ich finde es etwas kahl. Ich bin so froh, Liebling, dass du nicht bis Monte Carlo warten wolltest.«
    »Wieso kahl? Das ist doch ein herrliches Zimmer, Tommy   – genau wie die kahlen Zimmer bei Cézanne und Picasso.«
    |448| »Ich weiß nicht.« Er versuchte gar nicht erst, sie zu verstehen. »Jetzt geht der Radau schon wieder los. Mein Gott, ist jemand ermordet worden?«
    Er ging ans Fenster und erstattete wieder Bericht: »Wie es scheint, prügeln sich da unten zwei amerikanische Matrosen. Und ein paar andere schauen zu. Sie sind von dem Schlachtschiff da draußen.« Er wickelte sich in ein Handtuch und trat etwas weiter hinaus auf den Balkon. »Sie haben Nutten dabei. Ich hab schon davon gehört   – die Mädchen folgen ihnen von einem Hafen zum anderen. Herrje, was sind das für Weiber! Man sollte meinen, sie könnten bessere für ihren Sold finden! Wenn ich da an die Frauen bei Kornilow 1* denke! Wenn es nicht mindestens eine Ballerina war, haben wir sie gar nicht angesehen!«
    Nicole war froh, dass er schon so viele Frauen gehabt hatte, dass ihm die Sache selbst nichts mehr bedeutete; sie würde ihn so lange halten können, wie das allgemeine Prinzip ihres Körpers von ihrer Persönlichkeit übertroffen wurde.
    »Du musst dahin schlagen, wo’s wehtut!«
    »Ja-a-a!«
    »Hey, ich sag doch: Geh dichter ran! Diese Rechte   –«
    »Los, Dulschmitt, du Hundesohn!«
    »Jaa-jaa!«
    »Jaa   – genau   – ja!«
    Tommy wandte sich ab. »Ich glaube, dieses Zimmer brauchen wir nicht mehr, oder?«
    Sie nickte, aber dann umschlangen sie sich »ein letztes Mal«, ehe sie sich wieder anzogen, und

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