Zaertlich ist die Nacht
immer auf Dick eingestellt und wartete deshalb auf eine Interpretation oder Einschränkung, aber es kam keine. Beruhigt, müde und glücklich, dass es keine geben würde, ließ sie sich tief in den Sitz sinken und döste, bis ihr das Motorengeräusch zeigte, dass sie zur Villa Diana hinauffuhren. Am Tor gab sie ihm einen beinahe mechanischen Abschiedskuss.
Ihre Schritte auf dem Gartenweg waren jetzt anders, und die nächtlichen Geräusche im Garten kamen aus der Vergangenheit, trotzdem freute sie sich, dass sie wieder zurück war. Der Tag war wie im Stakkato vergangen, und trotz der Befriedigungen, die er gebracht hatte, war sie an solchen Stress nicht gewöhnt.
|452| 9
Um vier Uhr nachmittags hielt ein Taxi am Tor und Dick stieg heraus. Ganz plötzlich verlor Nicole ihr inneres Gleichgewicht, von der Terrasse aus lief sie ihm entgegen, keuchend vor Anstrengung, sich zu beherrschen.
»Wo ist das Auto?«, rief sie.
»Das hab ich in Arles gelassen. Ich hatte keine Lust mehr zu fahren.«
»Ich dachte, du wolltest mehrere Tage bleiben.«
»Ich bin in den Mistral geraten, und es fing an zu regnen.«
»Hast du Spaß gehabt?«
»Nun ja, so viel Spaß, wie man haben kann, wenn man vor den Dingen davonläuft. Ich habe Rosemary nach Avignon gebracht und dort in den Zug gesetzt.« Sie kehrten auf die Terrasse zurück, wo er seine Tasche absetzte. »Ich habe dir das nicht geschrieben, weil ich dachte, du würdest dir sonst alles Mögliche vorstellen.«
»Das war sehr rücksichtsvoll von dir.« Nicole fühlte sich jetzt schon viel sicherer.
»Ich wollte feststellen, ob sie etwas zu bieten hat«, sagte er. »Dazu musste ich sie allein treffen.«
»Und? Hatte sie – etwas zu bieten?«
»Rosemary ist nicht erwachsen geworden«, erwiderte er. »Das ist wahrscheinlich auch besser so. Und was hast du gemacht?«
Sie spürte, dass ihre Nase zitterte wie die Schnauze eines Kaninchens. »Ich bin gestern tanzen gegangen – mit Tommy Barban. Wir waren –«
|453| Er zuckte zurück, unterbrach sie. »Erzähl mir nichts davon. Du kannst tun, was du willst, aber erzähl mir nichts davon. Ich will nichts Entscheidendes wissen.«
»Es gibt nichts zu wissen.«
»Schon gut, schon gut.« Dann, als wäre er eine Woche lang weg gewesen: »Wie geht es den Kindern?«
Im Inneren des Hauses klingelte das Telefon.
»Wenn es für mich ist, ich bin nicht zu Hause«, sagte Dick und wandte sich eilig ab. »Ich muss einiges erledigen im Arbeitszimmer.«
Nicole wartete, bis er hinter dem Brunnen und außer Sicht war; dann ging sie ins Haus und nahm den Hörer ab.
»Nicole, comment vas-tu?«
»Dick ist nach Hause gekommen.«
Er stöhnte. »Dann triff mich hier in Cannes«, sagte er. »Ich muss mit dir reden.«
»Ich kann nicht.«
»Sag mir, dass du mich liebst.« Sie nickte ins Telefon. Er wiederholte: »Sag mir, dass du mich liebst.«
»Oh, das tue ich«, versicherte sie ihm. »Aber jetzt im Moment kann ich nichts machen.«
»Natürlich kannst du was machen«, sagte er ungeduldig. »Dick weiß doch, dass es vorbei ist zwischen euch – es ist ja offensichtlich, dass er aufgegeben hat. Was erwartet er denn von dir?«
»Ich weiß nicht. Ich muss warten, bis ich –« Sie hätte fast gesagt: »… bis ich Dick fragen kann.«
Stattdessen sagte sie: »Ich schreibe dir, und morgen ruf ich dich an.«
Zufrieden ging sie im Haus herum und ruhte sich auf ihrem Erlebnis aus. Sie war jetzt eine Verführerin und das war eine Genugtuung; sie brauchte nicht länger nur im |454| Gehege zu jagen. Der gestrige Tag kam mit zahllosen Einzelheiten zu ihr zurück, die ihre Erinnerungen an ähnliche Momente aus der Zeit überdeckten, als ihre Liebe zu Dick noch frisch und intakt war. Sie begann, diese Liebe schlechtzumachen, redete sich ein, dass sie von Anfang an von sentimentaler Routine geprägt war. Die selektive Erinnerung der Frauen ließ sie vergessen, was sie für Gefühle gehabt hatte, als sie und Dick sich an allen möglichen geheimen Orten lieben mussten, weil sie noch nicht verheiratet waren. Natürlich hatte sie Tommy belogen, als sie schwor, sie hätte sich noch nie so ganz und gar, so rückhaltlos und absolut …
Dann kam die Reue, sie schämte sich für diesen Augenblick des Verrats, der so leichtfertig ein ganzes Jahrzehnt ihres Lebens verleugnete, und machte sich auf den Weg zu Dicks Zufluchtsort.
Mit leisen Schritten ging sie hinunter und fand ihn hinter seinem Cottage, wo er auf einem Faltstuhl an der Mauer
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