Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
liebe dich«, sagten, erwarteten oder hofften, dass dieses Gefühl erwidert wurde. Nicht so sie. Sie hatte auf die harte Tour gelernt, dass das Leben einem nicht immer die Gelegenheit gab, das zu sagen, was man sagen wollte. Und diesmal hatte sie die Gelegenheit ergriffen.
Sie wühlte in ihrem Koffer, den sie noch immer nicht ausgepackt hatte, und fand einen frischen Pyjama: schwarze Fleeceshorts und ein Tanktop. Sie zog ihr rosafarbenes T-Shirt aus, dann hielt sie inne. Lauschte. Wusste nicht, was ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Drehte sich um.
Der Raum war leer, nichts wirkte fehl am Platze.
Trotzdem zerrte sie hastig das Tanktop über ihre nackten Brüste. Sora sagte, dass man manchmal so ein Gefühl hatte, wenn die Geister der Ahnen anwesend waren. Kiyoko verzog das Gesicht. Dass ihre Großeltern sie nackt sahen, hatte ihr gerade noch gefehlt.
Sie löste den schwarzen Gürtel, legte ihn ordentlich zusammen und legte ihn unter ihr Kopfkissen. Dann putzte sie sich die Zähne und schaltete das Licht aus. Als sie den Kopf auf das Kissen legte und die Augen schloss, ließ ihr ein leiser Seufzer den Atem in der Brust stocken.
Ihre rechte Hand schloss sich um den Knauf des Katanas, das neben ihr auf dem Bett lag. Sie horchte angestrengt auf ein weiteres Geräusch, bereit aufzuspringen und sich dem Angreifer zu stellen. Aber eine lange Minute verstrich, ohne dass etwas geschah. Dann noch eine. Als volle fünf Minuten vorüber waren, entspannte sie sich wieder und blickte um sich.
Nichts.
Es mussten die alten Dielen gewesen sein.
Kiyoko beruhigte ihre Gedanken mit einigen konzentrierten Atemzügen, dann schloss sie erneut die Augen. Kurz darauf war sie eingeschlafen.
Murdoch ließ sich in den braunen Samtsessel in seinem Zimmer sinken, lehnte sich zurück, die Ballen seiner Hände auf die Augen gedrückt, und betrachtete das Chaos, zu dem sich sein Leben nach seinem Tod entwickelt hatte.
Siebenhundert Jahre lang waren seine Ziele ganz einfach gewesen: der beste Krieger zu werden, der er sein konnte, auf Nummer sicher zu gehen und sich Seele für Seele den Weg in den Himmel zu ebnen. Ja, er war ein wenig ehrgeizig und hoffte auf eine angemessene Anerkennung von Seiten seiner Kollegen. Ja, er wollte sich den Titel des Führers erarbeiten. Aber unterm Strich wäre er schon zufrieden gewesen, wenn der heilige Petrus ihn an der Himmelspforte nicht hochkant wieder aus dem Paradies geworfen hätte.
So hatte er jedenfalls gedacht.
Bis er Kiyoko begegnet war.
Jetzt wollte er mehr. Er wollte Glück.
Er hatte zu wenig Erfahrung mit der Liebe, um sie als Gradmesser dafür heranzuziehen, wie es ihm ging. Alles, was er wusste, war, dass ihre Gegenwart ihn glücklich machte, und er wollte, dass das warme Gefühl, das sie in seiner Brust weckte, andauerte. Offen gestanden war er sich nicht sicher, ob er überhaupt Glück verdiente, doch nun, da es zum Greifen nah war, ertappte er sich dabei, dass es ihm widerstrebte, es wieder loszulassen. Kiyoko wieder loszulassen.
Und genau da lag die andere Hälfte des Problems.
Die Sache mit dem Transzendenzritual war absoluter Schwachsinn.
Er war hin- und hergerissen.
Die Prophezeiung war natürlich sehr verlockend. Schließlich würde Kiyoko wie er unsterblich werden, wenn sie transzendierte. Oder so etwas Ähnliches. Wenn sie nicht mehr zu einer menschlichen Lebensspanne verdonnert war, konnten sie ein paar hundert Jahre zusammen genießen statt nur zehn oder zwanzig. Und selbst wenn sie beschloss, diese Zeit nicht mit ihm zu verbringen, würde er sich für sie freuen, solange sie gesund und glücklich war.
Aber welchen Preis war er dafür zu zahlen bereit?
Wenn das Ritual fehlschlug und sie dabei starb, würde ihm das sein verfluchtes Herz aus dem Leib reißen. Und wenn der Berserker ihren Tod herbeiführte, würde der Rest seiner Existenz in Kummer und Elend versinken.
Gelächter explodierte auf dem Flur, und Stiefeltritte stampften an seiner Tür vorüber. Er sah auf die Uhr. Zwei Uhr morgens. Er hatte die neuen Schüler gewarnt, dass der morgige Tag in aller Frühe beginnen würde, doch die meisten waren zu neugierig und aufgeregt gewesen, um zu Bett zu gehen. Die Seelenkollekte war ein sehr einsames Geschäft, und hier hatten viele von ihnen zum ersten Mal Gelegenheit, mehr als fünf Worte mit einem Kollegen zu wechseln.
Er erinnerte sich noch gut an diese Euphorie.
Aber er wäre keinen Deut verständnisvoller, wenn sie morgen ihren faulen, verschlafenen Hintern
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