Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
aus dem Leib gerissen hatte, als er sich in seiner Angst vorgestellt hatte, sie könnte tot sein, und wie unglaublich trostlos sein Leben werden würde, wenn sie fort wäre. Doch für solche Geständnisse war dieser Augenblick nun wirklich nicht geeignet.
»Bring dein Katana mit.«
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20
S ie hatte ihn direkt vor seiner Nase getragen. Das war dreist und geradezu genial. Sie trug ihn in aller Öffentlichkeit und versteckte ihn, indem sie ihn als Gürtel tarnte. Das war durchaus sinnvoll. Der Schleier war aus Stoff, der Gürtel war aus Stoff. Dennoch war es ärgerlich, dass er ihr nicht früher auf die Schliche gekommen war. Das hätte ihm große Mühen erspart.
Immerhin konnte er nun seinen Plan weiterverfolgen.
Asasel zauberte ein Festmahl auf seine Tafel: geschmortes Hammelfleisch, kandierte Süßkartoffeln, frische Brötchen und jede Menge Rotwein. Der Tod der beiden Seelenwächter hatte eine weitere seiner Schwingenfedern geschwärzt, und seine Kräfte wuchsen und wuchsen.
Er würde einige Tage warten – bis sie alle durch den permanenten Alarmzustand vollkommen ausgelaugt waren und ihre Wachsamkeit nachließ –, dann würde er sich Zutritt verschaffen und den Schleier stehlen. Er würde nicht viel Zeit haben, um hineinund wieder hinauszugelangen, aber ein gut ausgeführter Plan hing nicht von der zur Verfügung stehenden Zeit ab.
Die Frage war eher, wen er als Modell für die notwendige Maskerade wählen sollte.
Er strich Butter auf ein Stück Brot und stopfte es sich in den Mund. Butter war eine der besseren Erfindungen Satans. Sündig wie die Hölle.
Den alten Mann? Sie vertraute Sora erklärtermaßen und würde ihm jederzeit ihre Tür öffnen. Aber dessen Gelassenheit war schwer nachzuahmen, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie Wissenslücken bei ihm feststellte, war groß. Murdoch? Da war der Berserker das Problem. Sie würde es sofort bemerken, wenn sich die Farbe von Murdochs Aura veränderte. Die anderen Wächter würden ihn nicht nah genug an sich heranlassen, deshalb blieb nur eine Möglichkeit.
Yoshio.
Loyal, tüchtig und bereit, bei Bedarf auch mal Regeln zu brechen.
Ja, er passte perfekt.
»Nacht, Murdoch.«
Er blickte auf, als die letzten beiden Schüler winkend die Arena verließen. Beide lächelten. »Gute Nacht.«
Die Anspannung ließ allmählich nach.
Aber ob das wirklich gut war, darüber war das letzte Wort noch nicht gesprochen
In den ersten drei Nächten hatte niemand ein Auge zugetan, und Geschichten darüber, wie Kowalski gestorben war, hatten unter den Wächtern die Runde gemacht. Sein Tod wurde mit jeder Version entsetzlicher. Am Mittwoch hatte Murdoch eine Prügelei im Kraftraum schlichten müssen. Sie war ausgebrochen, weil einer der Streithähne vergessen hatte, nach dem Gebrauch eine Gerätebank abzuwischen.
Und nachts wurde es noch schlimmer. Trotz der Flutlichtscheinwerfer, die an jedem breiteren Fußweg installiert worden waren, und der Posten, die von der Abend- bis zur Morgendämmerung Wache schoben, ging nach Einbruch der Dunkelheit niemand mehr freiwillig nach draußen.
Murdoch verzog das Gesicht, während er jedes einzelne der Übungsschwerter auf Scharten und Kratzer hin überprüfte.
Asasel hatte eine Gruppe starker Krieger in hasenfüßige Drückeberger verwandelt. Selbst erfahrenere Kämpfernaturen wie Hill und Lafleur waren mittlerweile vollkommen kopfscheu. Carter war sehr beliebt und einer der Begabtesten von allen gewesen. Wenn man
ihn
umbringen konnte …
Und doch hatte es keinen einzigen Zwischenfall mehr gegeben seit jener Nacht, in der Carter und Kowalski gestorben waren. Nicht einmal einen verstauchten Zeh. Heute, während des Trainings, waren alle spürbar ruhiger gewesen. Die Schultern waren weniger angespannt, die Gesichter weniger angestrengt und Meinungsverschiedenheiten weniger hitzig gewesen.
Dadurch wurde es zwar einfacher, Freiwillige für die Wachtposten zu rekrutieren. Aber dieses neue Wohlbefinden war ihr Feind, nicht ihr Freund. Typisches Beispiel: Der Deckzauber war gestern aufgehoben worden, damit die Magie wirken konnte, mit deren Hilfe sie Asasel vernichten wollten. Die meisten Wächter werteten die Neutralisierung positiv, weil sie ihnen im Falle eines Kampfes mehr Spielraum ließe. Ihnen war sehr wohl klar, dass sie auch dem Feind Tür und Tor öffnete, doch als die Zeit verstrich und sich kein Dämon blicken ließ, schwand ihre Besorgnis. Murdoch hatte alle aufgefordert, wachsamer denn je zu sein, aber er
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