Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
er war gewillt, ihr Leben aufs Spiel zu setzen.
Verdammt! War er nicht schon genug mit seiner Entscheidung gestraft, diesen vermaledeiten nordischen Zaubertrank zu sich genommen zu haben? Wenn er es hätte rückgängig machen können, hätte er es längst getan. Schon tausend Mal.
Er zog sich ein weißes T-Shirt über den Kopf.
Aber der richtige Moment für Reue war lange vorüber. Der Berserker war tief in seinem Leben verwurzelt – war es seit siebenhundertsiebenundzwanzig Jahren –, und Murdoch trug für sein Verhalten ebenso die Verantwortung wie für sein eigenes. Um ehrlich zu sein, die einzigen Tage, über die er eine Kontrolle hatte, waren die, die vor ihm lagen. Wenn er weiteren Kummer vermeiden wollte, tat er gut daran, Kiyoko den Schleier abzujagen und nach Kalifornien zurückzukehren. Je eher, desto besser.
Er schloss vorsichtig den Reißverschluss seiner Jeans.
Yoshio führte ihn über den Hof zu einem Gebäude, in dem Murdoch noch nicht gewesen war – eine kleine, einstöckige Pagode neben der Haupthalle, in deren Zentrum sich ein golden, schwarz und rot bemalter Schrein befand. Die Türen des Schreins waren geöffnet. Sora saß mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen davor und studierte eine Schriftrolle auf einem niedrigen Pult.
Als Murdoch barfuß durch den Raum auf ihn zukam, blickte der alte Mann auf. »Setzen Sie sich, bitte.« Er wies mit seiner mageren Hand auf ein zweites Kissen, um sich dann wieder seinen Studien zu widmen.
»Ich ziehe es vor, stehen zu bleiben.«
Sora hob erneut den Blick. »Das wäre äußerst unhöflich, Mr Murdoch.
Ich
sitze. Wäre es wirklich ein Problem für Sie, sich einen Moment zu setzen, während ich meine Tätigkeit zu Ende bringe?«
Nein, sich hinzusetzen, war kein Problem für ihn. Aber wenn der alte Mann ihn für unhöflich hielt, war das durchaus eines.
Murdoch ließ sich geschmeidig, wiewohl widerstrebend auf dem Kissen nieder. »Sie müssen Kiyoko dazu überreden, mir den Schleier zu geben.«
»Sie machen sich Sorgen um seine Sicherheit.«
»Aye.« Und um Kiyokos Sicherheit. Aber das war kein Thema, über das er ein Gespräch beginnen wollte.
»Ich verstehe.«
Aber Sora bot sich nicht an, in dieser Sache etwas zu unternehmen. Er fuhr nur mit dem Finger über eine Reihe komplizierter Zeichnungen in seiner Schriftrolle. Dann blickte er auf einen Kalender und runzelte die Stirn. Murdoch unterdrückte ein gequältes Seufzen. »Ich bin schon jetzt länger als geplant hier. Ich muss in die Staaten zurück. Sie hört auf Sie. Ich bin mir sicher, sie würde mir den Schleier geben, wenn Sie ihr sagen würden, dass das klug wäre.«
»Das kann schon sein.«
Und wieder keinerlei Hilfsangebot.
»Werden Sie’s ihr sagen?«
»Die Angelegenheit mit dem Schleier wird sich zur rechten Zeit von selbst erledigen.« Sora schob zwei Holzstücke aus der Schriftrolle, an denen er sie aufrollte. »Ich bin neugierig, mehr über Ihre Arbeit als Seelenwächter zu erfahren, Mr Murdoch. Wären Sie so nett und würden mir einige Fragen dazu beantworten?«
»Nein.«
Der Ältere sah auf. »Wie bitte?«
»Ich sagte nein. Ich bin nicht interessiert daran, einen Haufen Fragen zu beantworten. Nicht ohne die Zusicherung, dass Sie mir helfen werden.«
In den Tiefen von Soras ruhigem Blick vergraben blitzte etwas Hartes auf. »Und ich bin nicht interessiert daran, Ihnen zu helfen, ohne mehr über Sie und Ihre Beweggründe zu erfahren.«
Hölle und Verdammnis!
Das war durchaus vernünftig. Murdoch selbst hätte ebenso wenig eine kostbare Reliquie jemandem ausgehändigt, von dem er nichts wusste. Trotzdem wäre es viel einfacher, sich geschlagen zu geben, wenn ihn der Alte nicht so verdammt ärgern würde.
»Gut«, erwiderte er. »Ich beantworte Ihnen ein paar Fragen. Aber zuerst habe ich selbst eine.«
Sora breitete die Hände aus. »Fragen Sie.«
»Wenn ich Sie davon überzeugen kann, dass meine Motive ehrenhaft sind, helfen Sie mir dann, Kiyoko zur Herausgabe des Schleiers zu bewegen?«
Er schüttelte den Kopf. »Ich würde ihr raten, ihn zu behalten.«
»Obwohl Sie wissen, dass jede Minute, die sie ihn länger behält, sie in immer größere Gefahr bringt? Warum?«
»Warum sind Sie sich so sicher, dass sie in Gefahr ist?«
»Weil ich erlebt habe, wie weit Satan zu gehen bereit ist, um an diese Reliquien zu gelangen und seine Macht zu mehren. Er schickt keine grünen, unerfahrenen Dämonen aus, um sie aufzuspüren, sondern seine besten Kämpfer. Keiner von
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