Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
Gehmeditation. In der gleichen aufrechten Haltung, mit zusammengelegten Händen wie sonst auch, aber anstatt zu sitzen, werden wir im Uhrzeigersinn um den Hof gehen. Sie gehen voran, ich folge Ihnen.«
Murdoch verschränkte die Arme über der Brust. »Und dafür habe ich Aftershave aufgetragen.«
»Haben Sie das?«
»Ja.« Er legte den Kopf schräg und beugte sich zu ihr hinunter, um seinen gebräunten Hals ihrer Nase darzubieten. »Riechen Sie mal.«
Sie roch den Duft schon. Es war ein intensiver, warmer Hauch aus Zitrone und Gewürzen. Er war ihr so nah, es war unmöglich, es nicht zu riechen. »Warum?«
»Um Frauen anzulocken. Oder genauer gesagt eine Frau.«
Sie blinzelte. »Mich?«
»Aye, Sie.«
»Dann haben Sie sich verrechnet. Wenden Sie sich bitte nach Süden.«
Er runzelte die Stirn. »Inwiefern verrechnet?«
Sie hob den Arm. »Schauen Sie zum Haupttor, Murdoch.«
Nachdem er einen Moment ihre resolute Miene studiert hatte, drehte er sich um. »Inwiefern verrechnet?«
»Ich ziehe es vor, Sie
ohne
Aftershave zu riechen. Gehen Sie.«
»Das werde ich mir merken.« Er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und ging voran. Ohne Eile, mit gleichmäßigen Schritten. »Wo sind die anderen?«
Während Kiyoko ihm folgte, musste sie die überraschende Geschmeidigkeit seines großen Körpers bewundern.
»Im Dōjō. Sie üben
kenjutsu kata
– formale Bewegungsabläufe mit Holzschwertern.« Seine Schultern waren sehr breit. Sie verdeckten ihr die Sicht. »Genug geplaudert, Murdoch. Das hier ist Meditation, kein Konversationskurs. Achten Sie auf Ihren Atem und setzen Sie einen Fuß vor den anderen. Fühlen Sie, wie Ihre Ferse, Ihre Sohle und Ihre Zehen den Boden berühren und ihn wieder verlassen. Werden Sie sich des Hofs bewusst. Des Grases, der Kieselsteine, der Luft. Erleben Sie das Gehen mit Ihrem ganzen Körper, mit Ihrem ganzen Geist – die Schönheit und Schlichtheit jedes Schrittes. Ihr Geist sollte nicht abschweifen, aber wenn er es doch tut, lenken Sie ihn zurück zu Ihren Schritten und Ihrem Atem.«
Er benahm sich ausnahmsweise einmal ordentlich.
In weniger als einer halben Runde hatten sie einen ruhigen, gelassenen Bewusstseinszustand erreicht. Kiyoko wartete, bis die Farbe von Murdochs Aura von Orangerot zu einem dezenten Violett übergegangen war, bevor sie einen weiteren Versuch unternahm, seine Mauer der Selbstkontrolle zu durchbrechen und seinen Berserker zu erreichen. Da keiner ihrer früheren Versuche erfolgreich gewesen war, änderte sie die Strategie.
Anstatt ihre Auren miteinander verschmelzen zu lassen, konzentrierte sie sich auf den blauesten Fleck, den sie finden konnte. Der friedlichste Ort auf der Welt war doch sicherlich gleichzeitig der am weitesten geöffnete?
Doch auch er war so fest verschlossen wie seine übrige Aura.
Sie konnte seinen Berserker darunter spüren, aber nur in die ersten Schichten seiner Aura eindringen, bevor sie gegen die Mauer seiner Selbstkontrolle stieß.
Enttäuschung stieg in ihr auf. Sie schob sie beiseite.
Murdoch hatte gute Gründe, eine solche Mauer zu errichten, und er hatte mehrere hundert Jahre Zeit gehabt, um sie auszubauen. Es war wohl kaum verwunderlich, dass sie sie nach ein paar Tagen noch nicht hatte durchbrechen können. Zeit und Mühe würden ihr am Ende einen Weg zeigen, doch der Gedanke, sich noch wochenlang seinen sexuellen Anzüglichkeiten aussetzen zu müssen, war unerträglich.
Sie umrundeten schweigend zwanzig Minuten lang den Hof, bis Kiyoko aufgab. Seufzend blieb sie neben dem Fischteich und seinem leise tröpfelnden Brunnen stehen. Der Hof war noch immer leer.
»Genug, Murdoch.«
Er drehte sich um. »Das klingt fast wie das Ende.«
Ein silbrigweißer Koi schwamm gelassen herbei. Flossen und Schwanz strichen lang und fließend durch das Wasser. »Sie geben nicht alles in der Meditation. Sie halten immer noch etwas zurück. Ich bin mir nicht sicher, ob das Üben überhaupt einen Wert für Sie hat.«
»Sie wissen, warum ich nicht ganz loslassen kann.«
Sie nickte. »Ja. Aber ich weiß auch, dass Sie niemals wahren Frieden finden können, wenn Sie sich nicht vollkommen annehmen, bis Sie und Ihr Berserker eins sind.«
»Sie haben keine Ahnung von den Greueltaten, zu denen er fähig ist.«
Er.
Das Wort hing in der Luft, kühl und leer, ein perfekter Anfang. Sie holte tief Luft und sprang. »Sie meinen die Greueltaten, zu denen
Sie
fähig sind.«
Sein Gesicht verdüsterte sich. »Ich bin nicht er, und er ist
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