Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
zu spät. Die Tunneltür öffnete sich und gab den Blick auf einen riesigen roten
oni
-Dämon frei, der Feuerbälle auf sie schleuderte. In einer rascheren Reaktion, als Kiyoko es für möglich gehalten hätte, warf sich Sora gegen die Felswand, und wie durch ein Wunder gelang es ihm, der höllischen Salve auszuweichen. Kiyoko schubste Ryuji hinter sich, trat zurück und murmelte die Beschwörungsformel, die notwendig war, um einen Schutzschild um sie beide zu errichten.
Angst ließ sie erschauern. Gegen den hellen Himmel zeichneten sich vier weitere ungeschlachte Gestalten ab. Es waren anspruchsvolle Gegner. Die über zwei Meter großen Muskelpakete schwitzten ein tödliches Gift aus ihrer dicken roten Haut, und sie schwangen gewaltige, felszermalmende Keulen – Keulen, die sie im Augenblick dazu benutzten, den Tunneleingang gewaltsam zu erweitern, so dass die Erde erzitterte.
»Was
ist
das?«, raunte Ryuji ihr heiser ins Ohr.
Kiyoko antwortete nicht. Stattdessen zog sie ihn mit sich zu Boden, um Yoshio Platz zu machen, der mit einem raschen Hieb seines Schwertes an ihnen vorbeistürmte und den Kampf eröffnete. Ohne Waffe konnte sie sich nur mit Magie zur Wehr setzen. Aber mittlerweile reichte ihre Kraft schon wieder für mehr als einen einfachen Blendzauber. Ihr Ki hatte während der Flucht durch den Tunnel zugenommen.
Trotzdem musste sie klug vorgehen.
Es bestand wenig Hoffnung, dass Umiko den Hinterhalt überlebt hatte, aber wenn doch, wenn sie verwundet irgendwo jenseits des Tunnelausgangs lag, dann würde ihr ein Felshagel den Rest geben. Ihre
shikigami
zu rufen stand nicht zur Debatte, weil sie vielleicht immer noch Murdoch und den anderen beistehen mussten. Nein, ein zweigleisiger Angriff war am sinnvollsten: ein Keulungszauber, um den Kampfeswillen ihrer Widersacher zu brechen, und ein Drachenhex.
Der geflügelte Schlangendrache würde am besten passen.
Aus Erfahrung wusste sie, dass er nahezu unbesiegbar sein würde, wenn sie ihre magischen Fähigkeiten mit denen Soras vereinte. Aber der Sensei steckte gerade mitten in einem verzweifelten Kampf um sein Leben mit einem der
oni.
Ihn jetzt zu stören – wenn auch nur kurz – wäre ein Fehler.
Sie würde den Drachen allein beschwören müssen.
Der Boden erbebte, die Wände zitterten, und ein Schauer aus Felsen und Staub prasselte auf Murdochs Oberkörper herab. Murdoch drückte sich flach gegen die Wand und holte mit hämmerndem Herzen tief Luft.
Das
fand so sicher wie die Hölle nicht in seinem Kopf statt. Die Wände rückten näher.
Sein Mund wurde trocken.
Welch schreckliches Ende – für den Rest seiner unsterblichen Zeit als Wächter der Herrin des Todes unter einer Tonne Fels begraben zu liegen, von allen Seiten eingeschlossen und unfähig zu atmen. Zweihundertfünfzig Jahre gelebter Alptraum.
Jesus!
Er musste Licht sehen.
Und er musste es
jetzt
sehen.
Während kalter Schweiß seine Hände überzog, legte er alle Kraft, die er besaß, in einen Sprint ans andere Ende des Tunnels.
Kiyoko lächelte trotz ihrer Entkräftung.
Der Drache war ein unvergleichlicher Anblick.
Schwingen von fast zwanzig Metern Spannweite hielten ihn in der Luft, ein langer, kräftiger Schwanz peitschte von der einen zur anderen Seite, und blaugrün schimmernde Schuppen bedeckten seinen kolossalen Körper vom Kopf bis zur Schwanzspitze. Er spie den
oni-
Dämonen auf dem Felsvorsprung nicht nur Feuergarben entgegen, sondern schluckte auch jeden Feuerball, den sie auf ihn abschossen, mit einem zufriedenen Glanz in seinen schwarzen Augen.
Drei der fünf Dämonen wandten sich ihm zu, so dass sich nur noch zwei von ihnen Yoshio und Sora in den Weg stellten. Die Chancen standen nun besser, das war wohl wahr, aber Sora war verletzt. Obwohl die Beschwörung des Drachen Kiyokos Ki erneut so sehr geschwächt hatte, dass sich ihre Glieder ganz taub anfühlten, kam für sie ein Rückzug aus dem Kampf nicht in Frage. Nicht, bevor er gewonnen war. Sie schöpfte noch einmal tief aus ihrer verbleibenden Kraft, verstärkte den Schild um die beiden Männer und schleuderte kleine Irritationszauber auf die Dämonen.
Der Schwanz des Drachen fegte einen der
oni
von der Felskante. Doch das säurehaltige Gift aus der Dämonenhaut entlockte der mächtigen Kreatur ein Schmerzensgebrüll, und sie fiel einige Meter unter den Felsvorsprung, bevor sie wieder an Höhe gewann. Den Schwanz hielt sie nun außer Reichweite der
oni.
Kiyoko biss sich auf die Lippen.
Es wäre viel
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