Zärtlich wie ein Krieger / Wächter der Seelen. Roman
»Wer hat gewonnen?«
»Webster.«
Nicht einmal ein Hauch von Scham oder Enttäuschung lag in seiner Stimme. Keinerlei Betroffenheit, dass er geschlagen worden war. Wie viele Männer konnten schon mit solch einem unerschütterlichen Selbstbewusstsein aufwarten?
»Hast du etwa aufgegeben?«, fragte sie neugierig.
»Nein.«
»Aber du hast dieses Ergebnis zugelassen«, riet sie.
Murdoch antwortete nicht. Er starrte sie nur an, mit diesem ruhigen, intensiven Blick. Der Mann besaß die verblüffende Fähigkeit, Ansprüche auf sie anzumelden, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen.
»Ich frühstücke jetzt mit Watanabe-san«, sagte sie. »Danach übe ich Zazen auf meinem Zimmer. Wenn du mit mir sprechen willst, kommst du dann zu mir.«
Die Muskeln seines Unterkiefers spannten sich an.
In der Hoffnung, einen bedauerlichen Wutausbruch umgehen zu können, wandte sie sich ab.
»Kiyoko!«
In dieses eine Wort war eine Überdosis Stahl gepackt, die keinen Zweifel daran ließ, dass Murdoch drauf und dran war, etwas zu tun, und dass dieses Tun nicht nach ihrem Geschmack ausfallen würde.
Sie fuhr herum.
»Komm her!«, befahl er leise.
Ihr Stolz schrie ihr zu, sie möge doch diesen herrischen Befehl ignorieren oder sich darüber lustig machen. Aber ihre Klugheit gewann die Oberhand. Murdochs Selbstsicherheit rührte von seinen Wurzeln als mittelalterlicher Kämpe her, der wild, ungezähmt und unberechenbar war. Jede Sehne in seinem Körper war gestrafft, jeder Zentimeter Haut strahlte Groll aus. Sie vermutete, dass er sich nicht zu schade sein würde, Ryuji die Faust ins Gesicht zu stoßen und sie sich über die Schulter zu werfen.
Mit leisem Beben trat sie auf ihn zu.
Ein gutes Stück vor ihm blieb sie stehen, doch er schloss mit einem entschiedenen Schritt zu ihr auf. Der dunstige Geruch von Leder und verbrauchter Energie schlug ihr entgegen, und ihr blieb fast das Herz stehen. Er starrte ihr einen langen, brennenden Moment in die Augen, dann beugte er sich zu ihrem Ohr hinunter. Er sprach so leise und vertraut mit ihr, dass feuchte Hitze die Härchen an ihren Schläfen bewegte. »Wenn dir wirklich etwas an Watanabe liegt, rühr ihn bloß nicht mehr an.«
Sie presste die Lippen zusammen.
Wie konnte er es wagen …
»Ich verstehe diese seltsame Verbindung zwischen uns nicht«, sagte er fast unhörbar. »Aber ich akzeptiere sie. Mach bloß keinen Fehler! Nach heute Nacht gibt es kein Zurück mehr. Du gehörst mir!«
Während er sich abwandte, die Tür zur Arena öffnete und dahinter verschwand, stand Kiyoko da und starrte ihm nach.
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14
M urdoch suchte überall nach Sora, bis er ihn endlich oben auf dem Hügel fand, wo früher die Tennisplätze gelegen hatten. Er lag in dem Krater, den Rodriguez letzten Sommer gesprengt hatte, und blickte an Emilys Seite zu den Wolken hinauf.
»Was, zum Teufel, treibt ihr denn da?«, rief er vom Rand des Kraters aus.
Emily setzte sich grinsend auf.
»Der Sensei unterrichtet mich in Yin und Yang. Total krasses Zeug! Tag und Nacht, heiß und kalt, männlich und weiblich. Jedes ergänzt und beeinflusst das andere. Ich bin das Yin zu Carlos’ Yang. Deshalb passen wir auch so gut zueinander.«
Murdoch zuckte innerlich zusammen.
Großer Gott!
Ausgerechnet jetzt, wo Emily ihre vergangene Beziehung überwunden zu haben schien, rührte der Alte wieder daran.
»Und ihr müsst im Dreck liegen, weil …?«
Sora übernahm die Erklärung. Er lag noch immer friedlich da und beobachtete eine Wolke, die über ihren Köpfen dahinzog. »Wir haben Gegensätze erforscht.«
»Und wir haben ein Gefühl für die fünf Elemente bekommen«, fügte Emily hinzu, während sie die Kraterböschung zu Murdoch hinaufkletterte. »Wind, Wasser, Erde, Holz und Feuer.«
»Feuer?«
Sie zuckte die Achseln. »Wir haben dieses Jahr einen wirklich trockenen Winter, und es gibt im Moment trotzdem keine Brände. Aber Carlos hat diesen Krater durch Feuer erschaffen, deshalb dachte ich, das wäre der beste Ersatz.«
Murdoch seufzte. »Emily, Carlos ist …«
»Fort. Ja, ich weiß.« Sie sah seinen Gesichtsausdruck und ergänzte: »Keine Sorge. Ich schleiche mich nicht davon, um ihm einen Besuch abzustatten. Er wollte allein sein, also lasse ich ihn allein.«
»Braves Mädchen«, lobte Murdoch.
»Aber ich kann ihn immer noch spüren.«
Wenn Carlos in diesem Augenblick greifbar gewesen wäre, hätte Murdoch dem Seelenwächter die Tracht Prügel seines Lebens verabreicht. In Emilys Augen glomm
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