Zaertliche Brandung - Roman
öffnen und herauszufinden, wessen Arm sie festnagelte. Und wessen Bein über ihrem Schenkel lag. Kein Wunder, dass ihr Körper größtenteils eingeschlafen war. Der Mann wog eine Tonne.
Die Männer hatten sie in Abrams Zimmer geführt und sie mit angeheitertem Charme in die trunkene Feier einbezogen, die sie dem Andenken ihres Großvaters widmeten. Noch eine Flasche Brandy war gebracht worden, sie aber hatte einen Drink abgelehnt, da ihr noch der Scotch-Marathon vom Abend zuvor zu schaffen machte.
Stattdessen war sie auf Abrams massives Bett geklettert und hatte sich an das Kopfteil gelehnt, während die Männer sich ausgestreckt um sie gruppierten, und sie hatte zugehört, als sie von dem starken Mann erzählten, der jedes einzelne seiner fünfundachtzig Jahre in vollen Zügen gelebt hatte. Irgendwann so um zwei Uhr morgens war sie eingeschlafen. Kurz darauf war sie halb aufgewacht und hatte jemanden fluchend aus dem Bett taumeln und zur Uhr an der Wand gegenüber gehen sehen, um das Pendel aufzuhalten. Daraufhin hatte sie friedlicher geschlafen. Tatsächlich hatte sie sich mit einem Seufzer an den am nächsten Liegenden gekuschelt und sich warm und behütet und völlig zufrieden gefühlt.
Jetzt aber meldete sich ein dringendes Bedürfnis. Außerdem ärgerte sie sich, weil sie sich so leicht von ihrer Abreise hatte abbringen lassen. Und der Lösung ihres Problems war sie auch nicht nähergekommen. Im Gegenteil, sie sah sich nun einem zusätzlichen Problem gegenüber.
Sie stand im Begriff, sich in die Sinclairs zu verlieben, in jeden verdammten einzelnen von ihnen.
Willa, die schließlich ihren ganz Mut zusammennahm und die Augen öffnete, hob den Kopf und sah Jesse auf der anderen Seite des Bettes, mit offenem Mund, einen Arm über die Augen gelegt. Ben schnarchte neben ihm.
Was bedeutete, dass es Sams Brust war, an die sie sich schmiegte.
Es passt. Er meldete sich freiwillig zur Heirat. Das hatten sie ihr gestern eröffnet. Tidewater zuliebe wollte Sam Sinclair sich für einen Toten opfern. Er traute sich sogar die Aufgabe zu, ihr ein Kind zu machen.
Wie edel von ihm.
Sollte er doch allein vor den Traualtar treten. Sie würde jetzt ein Badezimmer suchen, dann in die Küche gehen und anschließend einen Wagen stehlen und nach Maine fahren. Noch einmal wollte sie sich diesen Shuttle-Fliegern nicht anvertrauen.
Sie betete still, dass sie ihn nicht wecken würde und versuchte vorsichtig, Sams Hand wegzuschieben. Sofort fasste diese fester zu und knetete sie sanft. Unwillkürlich stöhnte sie auf.
Du lieber Gott, sie musste hier weg!
Sie schob seine Hand weg und kroch vom Bett, ehe einer der drei wusste, wie ihm geschah. Sam schrie auf, als sie sich gegen seine Brust stemmte. Er stieß gegen Ben, worauf Jesse mit einem Ausruf der Angst aus dem Bett polterte. Ben fuhr auf, mit wildem Blick, zu Berge stehendem Haar, die Fäuste kampfbereit erhoben.
Im nächsten Moment fassten alle drei nach ihren Köpfen und fluchten heftig.
Willa konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Ein Brummschädel war eine gerechte Strafe – und kam sehr gelegen, wenn es darum ging, die Tatsache unter den Tisch fallen zu lassen, dass sie die Nacht mit ihnen verbracht hatte.
»Was soll das Gebrüll?«, zischte Sam, der sich nur mühsam zurückhielt. Blaue Feuerschlitze öffneten sich in seinen rot geränderten Augen.
Von der Tatsache ermutigt, dass sie unmöglich ärger aussehen konnte als er, blickte Willa ihn mit selbstzufriedenem Lächeln an.
»Schlafen Sie weiter. Es ist noch sehr früh«, sagte sie, entschlossen, sich mit Frechheit aus dieser Situation herauszumanövrieren. Zumindest hoffte sie, Zeit zu gewinnen.
Sam ließ seinen Kopf ächzend in die Hände fallen. Ben warf sich zurück ins Kissen, vor Übelkeit wimmernd. Jesse blieb auf dem Boden sitzen und legte leise fluchend den Kopf auf die Knie.
Willa flüchtete.
Als sie merkte, dass sie hinkte, weil sie nur einen Schuh anhatte, streifte sie diesen im Korridor ab und überlegte, welche Richtung sie einschlagen sollte. Sie befand sich im Familienflügel, was bedeutete, dass ihr Zimmer am entgegengesetzten Ende des Hauses lag. Sie lief den Gang entlang, entschlossen, längst über alle Berge zu sein, ehe ihre Abwesenheit auffiel. In Gedanken wieder bei dem Schuh, den sie in Abrams Bett verloren haben musste, lächelte sie und fragte sich, ob Sam auf ihrer Schwelle in Maine auftauchen würde, auf der Suche nach der Prinzessin, der der Schuh passte.
Plötzlich
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