Zaertliche Brandung - Roman
konnte sie noch immer hören, was drinnen vor sich ging. Das Gelächter wurde immer wieder von Geschichten unterbrochen, von unerhörten Erinnerungen dreier Jungen, die in einem Haus aufgewachsen waren, das voller Liebe und lustiger Streiche war.
Jede Geschichte begann mit ›Wisst ihr noch, wie wir …‹ und endete in Gelächter. Abram, das Opfer der meisten Streiche, hatte natürlich zu Gegenschlägen ausgeholt, manchmal mit wohlverdienten Strafen, zuweilen aber auch mit noch raffinierteren Streichen. Abrams ›Jungen‹ hielten ihre eigene Grabrede, mit der sie den Tod des Großvaters verarbeiteten.
Deshalb saß sie hier – unentschlossen. Zu gern hätte sie Sam und Ben und Jesse besser kennengelernt, um zu verstehen, was sie antrieb. Nicht einer hatte auch nur mit der Wimper gezuckt, als er erfuhr, dass Abram sein gesamtes Vermögen ihr hinterlassen hatte. Sie waren erstaunt gewesen, aber nicht empört, und sie hatten sie nicht mit Anschuldigungen beworfen oder mit Vergeltung bedroht.
Sie hatten es einfach hingenommen.
Als hätten sie erwartet, dass Abram etwas Unerhörtes tun würde.
Und als wäre es ihnen egal.
Erwartete denn Abram tatsächlich, dass sie einen von ihnen heiratete?
Sie jagten ihr eine Heidenangst ein. Nicht körperlich – auch wenn sie vermutete, dass jeder von sehr aufbrausendem Temperament war, wusste sie doch, dass sie dieses niemals gegen eine Frau anwenden würden. Nein, was sie erschreckte, waren ihr Wagemut, ihr Selbstvertrauen und ihre Arroganz. Alle drei hatten sie überwältigt, ohne dass sie es darauf angelegt hatten. Allein die Fähigkeit, Tidewater sausen zu lassen und einen Neuanfang zu wagen, machte sie sprachlos.
Willa war schon seit Jahren klar, dass sie ein wenig ungeschickter war als die meisten Menschen. Richtig wohl fühlte sie sich nur auf See und inmitten ihrer Senioren. Entzog man ihr diese Elemente, wurde sie unbeholfen. Sie hatte David in den drei Jahren ihrer Ehe so oft in Verlegenheit gebracht, dass es ein Wunder war, dass er nicht erwogen hatte, sie aus ihrem Elend zu erlösen.
Sehr wahrscheinlich hatte er erwartet, sie würde es selbst tun.
Und fast hätte sie es geschafft, an dem Tag, als sie bei David im Büro vorbeigeschaut hatte und auf seinem Schoß eine rothaarige, halb bekleidete Sexbombe angetroffen hatte. Willa hatte Jennifers Hand ergriffen,
hatte sich umgedreht und war gegangen. Sie war eingestiegen und losgefahren. Sie wusste noch, dass sie Jennifer den Sicherheitsgurt angelegt hatte. Andernfalls wäre ihre Nichte jetzt tot.
Eine normale Frau hätte geschrien und die Schlampe vom Schoß ihres Mannes gerissen, dann hätte sie die Scheidung eingereicht und versucht, diesem schleimigen Wurm jeden einzelnen Dime herauszuziehen. Stattdessen hatte sie ihre unschuldige Nichte zum Krüppel gemacht.
Während sie im selben Krankenhaus wie Jennifer lag, aus dem sie schließlich als Erste entlassen wurde, war Willa klar geworden, dass ihre eigenen Kinder besser ungeboren blieben. Sie war bekannt dafür, dass sie die Leute mit ihren Kochkünsten fast vergiftete, sie hatte Berge von Geschirr zerbrochen, und sie war als Kind von so vielen Missgeschicken heimgesucht worden, dass ihre Mutter vorzeitig graue Haare bekommen hatte.
Noch einmal schaffte sie es nicht. Sie konnte nicht heiraten und miterleben, wie ihr Mann sich erst aufregte, dann die Geduld verlor und schließlich wütend wurde. Kurz darauf folgte Gleichgültigkeit, und schließlich starb die Ehe einen bitteren Tod. Und diesmal würde Willa mit einem so guten und starken Mann, wie es ein jeder der Sinclairs war, selbst sterben.
Schließlich raffte sie sich auf und warf sich für den bevorstehenden Kampf in Positur. Sie wollte nach Hause, die Tür verschließen und die Welt aussperren.
Vielleicht würde sie nächste Woche wieder klar denken können und einen Weg finden, der gewährleistete, dass Tidewater International intakt blieb und die Enkel das ihnen zustehende Erbe bekamen.
Ja. Sie würde dieses Wirrwarr in Ordnung bringen oder bei dem Versuch ihr Leben lassen.
9
N och ehe sie ihre Augen aufschlug, wurde Willas Nase von penetrantem Whiskey-Duft geweckt. Sie versuchte den Geruch wegzuwischen, konnte aber ihre Hand nicht bewegen. Auch ihren Arm konnte sie nicht spüren.
Schließlich zwang sie ihre Augen auf, nur um sie sofort stöhnend wieder zu schließen. O Gott, sie war im Bett mit den drei Sinclairs erwacht. Gottlob war sie voll angezogen.
Dennoch zögerte Willa, ihre Augen zu
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