Zärtliche Wildnis
schließlich ihr Ziel erreichte. Eine Stunde hatte sie beim Mittagessen in Southville verbracht, und zuvor eine Nacht etwa dreihundert Kilometer von Auckland entfernt. Wagemutig war sie in ein Hotel marschiert und hatte sich ein Zimmer genommen und hätte sich am liebsten selbst auf die Schulter geklopft aus Stolz über ihren Mut. Sie fühlte sich so beschwingt, daß sie tatsächlich zwei Reisevertretern, die die einzigen anderen Gäste im Speisesaal waren, guten Abend wünschte, und da sie sich die Zeit genommen hatte, ihr Makeup aufzufrischen, ehe sie heruntergekommen war, hatten die beiden sie mit Wohlgefallen betrachtet und sogar ein kleines Gespräch mit ihr angefangen. Als Liz zu Bett ging, war sie mit sich und der Welt zufrieden. Sie machte Fortschritte. Männer konnten sie jetzt nicht mehr nervös und verlegen machen.
Es war früher Nachmittag, als sie Southville erreichte, und sie vertrödelte dort eine Stunde. Southville war eine hübsche, ländliche Stadt, und Liz spürte plötzlich etwas Scheu und Unsicherheit, als sie an das bevorstehende Zusammentreffen dachte. Doch ihre Zweifel und Befürchtungen waren vergessen, als sie schließlich vor dem Häuschen anhielt, das etwa anderthalb Kilometer außerhalb von Windythorpe lag. Eine nette Frau hatte ihr im Dorf den Weg beschrieben und hatte sie mit unverhohlenem Interesse gemustert.
»Sind Sie vielleicht die junge Dame, die den Müttern hier die kleinen Kinder abnehmen will?« fragte sie, und Liz bejahte.
»Dann werden wir Sie ja noch öfter sehen. Wie nett. Viel Glück. Zwei der Mütter erwarten Sie schon im Häuschen.«
Vera Page und Jessie Wheeler empfingen sie mit großer Wärme und Herzlichkeit, als sie ihr neues Heim erreichte. Sie standen draußen auf der kleinen Veranda und strahlten.
»Wir sind nur eine Abordnung. Die anderen wollten auch kommen, aber das ließen wir nicht zu. Wir dachten uns, daß Sie nach der langen Fahrt müde sein würden.«
Liz kam sich ein wenig albern vor, als ihre Augen sich mit Tränen füllten. Sie war nicht müde, doch plötzlich wurde ihr klar, wie einsam sie während der letzten Wochen in dem leeren Haus gewesen war, wo nur die Erinnerung an Kay sie etwas aufgeheitert hatte. Und abgesehen von der Zeit mit Kay war sie seit Jahren einsam gewesen. Mrs. Hall und Mr. Dawson waren nett und freundlich gewesen, aber diese Frauen hier waren Freundinnen. Sie brauchten sie. Von nun an würde sie zu ihnen gehören.
Sie errieten ihre Gedanken und sagten eilig: »Jetzt bringen wir erst einmal einen Teil Ihres Gepäcks hinein und setzen das Teewasser auf.«
Erleichtert darüber, daß sie ihre Gedanken praktischen Dingen zuwenden konnte, erwiderte Liz: »Oh, gibt es hier Elektrizität? Das ist ja wunderbar. Sonst käme ich mit den Lampen und dem Ofen bestimmt nicht zurecht.«
»Natürlich gibt es Elektrizität. Glauben Sie ja nicht, Sie befänden sich hier unter Hinterwäldlern«, neckten sie sie, und sie dachte an das Dorf, das aus einem Gemischtwarenladen mit Postamt und einer Tankstelle bestand. Dann blickte sie in das weite, offene Tal hinaus, in dem verstreut Bauernhäuser lagen, und sagte: »Auf jeden Fall gefällt es mir hier. Ich finde alles wunderschön.«
»Das Haus ist zwar winzig — nur vier Zimmer. Aber wenn man so zierlich ist wie Sie, braucht man ja nicht soviel Platz.«
Sie führten sie hinein, um sie ihr neues Heim in Augenschein nehmen zu lassen. Es stand nicht weit abseits von der Straße, etwa anderthalb Kilometer vom sogenannten Dorf entfernt, und sie sah, daß die Frauen schon versucht hatten, einen kleinen Garten anzulegen. Das Haus hatte ein Schlafzimmer, ein hübsches Wohnzimmer mit einem offenen Kamin, eine kleine Küche und ein zusätzliches Zimmer, sowie Bad und Toilette. Sie war überzeugt, daß sie sich mit dem Haus viel Arbeit gemacht hatten. Innen schien es von Grund auf renoviert zu sein. Die Tapeten waren sauber, Fenster- und Türrahmen waren frisch gestrichen, und die Möbelstücke, die Liz vorausgeschickt hatte, standen auch schon da. Die Wirkung war bezaubernd. Sie erinnerte sich an die düsteren großen Zimmer in ihrem Haus in der Stadt und wußte, daß sie hier glücklich sein würde. Sie würde glücklich sein und sich geborgen fühlen. Ihr >Gefühl< hatte nicht getrogen.
»Ich hoffe, Sie werden hier keine Angst haben? Wir haben das Telefon schon beantragt, aber es ist noch nicht gekommen.«
»Ich habe nie Angst«, erwiderte Liz, und sie verbargen ihre Überraschung darüber, daß
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