Zärtliche Wildnis
würde nur noch für die Zukunft leben. Dann dachte sie daran, was Kay zu dieser Zukunft gesagt hätte, und lächelte. Aber sie wußte, daß diese Entscheidung klüger war, als es schien. Sie wollte ja nicht den Rest ihres Lebens hier verbringen; die Zeit hier sollte ihr nur dazu dienen, kontaktfreudiger zu werden, bis sie ganz frei von Scheu und Zaghaftigkeit sein würde und ihren Platz in der Welt einnehmen konnte, als hätte es jene Jahre isolierten, unnatürlichen Lebens nie gegeben.
Sie schlief gut in dieser Nacht, ungestört von den Geräuschen der ab und zu vorbeifahrenden Autos. Die Tür hatte ein sicheres Schloß, und sie hatte keine Angst vor Einbrechern. Anders als die Frauen von Windythorpe fand sie nichts Seltsames daran, daß ein Mädchen von zwanzig Jahren ganz allein lebte.
»Das macht mir schon ein wenig Sorgen«, meinte Jessie an diesem Abend zu ihrem Mann. »Aber sie ist ein komisches kleines Ding. Zuerst schien sie uns gegenüber so befangen zu sein, aber das hat sie jetzt überwunden, und die Ängste, die Mädchen ihres Alters im allgemeinen haben — vor Betrunkenen und unverschämten jungen Kerlen — , scheint sie gar nicht zu kennen. Sie hat nicht einmal vor Ratten Angst wie Vera.«
Er meinte, sie scheine ein vernünftiges Mädchen zu sein, und es würde ihr schon nichts zustoßen. Außerdem würde ja in ein oder zwei Wochen das Telefon installiert werden, und dann hätte sie immer Verbindung mit der Außenwelt. Er wolle am nächsten Morgen zum Gemeindehaus gehen, um die Schaukel für die Kinder umzubauen, und nachsehen, ob in dem Häuschen noch etwas getan werden müßte.
In den folgenden Wochen wurden Liz die Augen darüber geöffnet, daß sie, als sie sich darauf vorbereitet hatte, unter einer Schar kameradschaftlicher Frauen zu leben, der Tatsache, daß diese Frauen Ehemänner hatten, viel zu wenig Beachtung geschenkt hatte. Gewiß, die Ehemänner waren sympathische Menschen, ebenso freundlich wie ihre Frauen, aber es waren Männer, denen offensichtlich der Gedanke gar nicht gekommen war, daß dieses Mädchen ihnen gegenüber schüchterner und befangener sein würde als den Frauen gegenüber.
Sie sahen sie als eine der Ihren an, und das war gut für Liz, die keine Gelegenheit erhielt, sich der abfälligen Bemerkungen ihrer Mutter über die Männer zu erinnern, und allmählich ihre Hemmungen so weit ablegte, daß sie die Männer auf eine zurückhaltende, aber freundliche Art begrüßte, die diese anziehend fanden. Sie brachte es sogar fertig, sie zu Tee oder Kaffee in ihr Haus zu bitten und diesen oder jenen zu fragen, ob er ihr ein Bücherbord anbringen oder einen schweren Schrank zurechtrücken könne. Sie fuhren Sand vom Fluß an, um einen Sandkasten zu bauen und errichteten mit dicken Seilen stabile Schaukeln. Sie dachten auch an ihre Bequemlichkeit, und als Tom Wheeler und Arnold Page das Feuerholz für den Winter sägten, meinte Tom: »Wo wir die Kreissäge schon in Gang haben, können wir auch gleich eine Ladung für die kleine Liz schneiden. Sie wird im Winter ein warmes Feuer gebrauchen können, und Holz haben wir hier ja genug herumliegen.«
Sie fuhren zusammen zu dem kleinen Haus, um das Holz abzuliefern, und stapelten die Scheite ordentlich in dem kleinen Schuppen hinter dem Häuschen auf. Liz lud sie zum Tee ins Haus ein und unterhielt sich mit ihnen über ihre Pläne für den Kindergarten.
»Ich habe eine ganze Menge Material für den Kindergarten«, berichtete sie voller Eifer und Erwartungsfreude. »Meine Freundin, Mrs. Hall, half mir dabei und sagte mir, was ich besorgen sollte: Knetmasse, Bauklötze, Malsachen und ähnliches mehr. Ich habe einen großen Karton mit Stoffresten und alten Hüten, Knöpfen und Gürteln, weil es Kindern doch so viel Spaß macht, sich zu verkleiden. Und Spiele werden wir natürlich auch machen.«
Sie hatte alle Scheu vergessen, und ihre Augen leuchteten vor freudiger Erregung.
Die Männer waren erfreut über ihren Eifer und ihre Pläne. Aber dann kam Tom Wheeler wie zuvor seine Frau auf ihre Sicherheit zu sprechen.
»Damit will ich natürlich nicht sagen, daß Sie hier etwas zu befürchten hätten«, meinte er. »Nicht einmal hier an der Straße. Windythorpe ist ein ruhiges kleines Dorf, da kommen diese verrückten jungen Leute mit ihren hochgezüchteten, alten Knatterkisten und den gestohlenen Autos gar nicht hin. Aber einen Hund sollten Sie sich vielleicht trotzdem halten, einen großen am besten, der ein bißchen grimmig aussieht.
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