Zärtlicher Eroberer
Versprechungen gemacht hatte. Jetzt spielte er für alle den Reiseführer und machte den Eindruck eines Mannes, der allein wegen der Aussicht hier war.
Nun, in dem Punkt irrte Philippa. Er hatte die Gelegenheit gewittert, mit ihr allein sein zu können, als der Vikar verkündete, er müsse umkehren. Aber das war auch schon das Ende seiner vernünftigen Eingebungen gewesen. Er hatte die Gelegenheit zwar beim Schopf ergriffen, aber nichts daraus gemacht. Allenfalls Philippas Misstrauen nur noch verstärkt. Dabei hatte er ihr sagen wollen, dass Beldon von ihrer früheren Romanze wusste. Er hatte ihr die Gründe gestehen wollen, warum er sie damals verlassen hatte. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse, und sie waren in diese Schieflage geraten, offensichtlich wider Philippas besseres Wissen.
Ihr „besseres Wissen“ schmerzte. Es war eine Sache, zu wissen oder zu vermuten, wie sie über ihn dachte. Ihre Gedanken laut ausgesprochen zu hören, war etwas ganz anderes. Und sie dachte, er wäre kein Ehrenmann. Sie dachte, sie könnte ihm nicht mehr glauben.
Und vielleicht hatte sie recht.
Valerian kämpfte gegen eine Woge von Selbstzweifeln an. Auch diesen Menschen in Negush hatte er nicht helfen können, er hatte es nicht geschafft, für Frieden zu sorgen, ehe die revolutionäre Hölle ausbrach. Menschen, die unerschütterlich an ihn glaubten, hatten ein böses Ende gefunden. Das war keine Leistung, auf die er stolz war.
Valerian ermahnte sich, sich nicht von seinen dunklen Gedanken überwältigen zu lassen. Er konnte sich jetzt nicht die Migräneattacken leisten, die meist die Folge seiner schuldbewussten Stimmungen waren. Das war nicht der richtige Ort dafür, auf einem Aussichtspunkt während eines geselligen Ausflugs. Es wäre der Gipfel der Stillosigkeit gewesen, hier plötzlich diese verheerenden Kopfschmerzen zu bekommen – ein Andenken an den griechischen Fanariotenaufstand.
Valerian konzentrierte sich wieder auf die Gegenwart und musste zugeben, dass die Aussicht in der Tat wunderschön war. Sobald man den Grottenpavillon fertig gebaut hatte, bot er bestimmt einen atemberaubenden Blick über das Umland von Truro. Der Vikar würde hochzufrieden sein.
Beldon sog tief die Luft ein und atmete sie dann wieder aus. „Ach, es geht doch nichts über die saubere Luft in Cornwall. Ich schwöre, es gibt keinen schöneren Ort auf der Welt als diesen.“
Valerian lächelte über den Stolz seines Freundes. Auch er selbst hatte es geliebt, hier aufwachsen und leben zu dürfen. Lucien jedoch schien dem widersprechen zu wollen. Seit er die Wette verloren hatte, war er plötzlich lange nicht mehr so für Cornwall.
„Ich ziehe eigentlich den Lake District mit seinen Bergen vor, die viel zerklüfteter und herausfordernder sind. Im Vergleich zu ihnen sehen die Berge hier eher wie sanfte Hügel aus.“
Valerian zog eine Augenbraue hoch, ein Zeichen, dass er ganz und gar nicht Luciens Meinung war. „Während meiner Zeit im Ausland habe ich viele verschiedene Landschaften gesehen – Berge und Küsten. An manchen Orten war es brütend heiß, an anderen so kalt, dass einem beinahe die Gedanken einfroren. Immer wenn ich das Klima nicht mehr ertragen konnte, dachte ich an Cornwall.“ Bei seinen letzten Worten fiel sein Blick auf Philippa. Mit „Cornwall“ hatte er eigentlich noch etwas anderes gemeint, und ihr erschrockener Gesichtsausdruck verriet ihm, dass sie das verstanden hatte. Ermutigt fuhr er fort. „Dann dachte ich an unsere Gärten, vor allem die von Pendennys Hall und Roseland, und an all meine damit verbundenen Erinnerungen. Ich stellte mir vor, wie ich durch diese Gärten ging. Manchmal schmiedete ich Pläne, manchmal fand ich einfach nur Frieden in ihnen.“ Ob sie sich ihrer gemeinsamen Spaziergänge entsann? An ihre Gespräche? Sie hatten damals so viele Geheimnisse miteinander geteilt.
Philippa wich seinem Blick aus und ließ ihren über die weite Landschaft schweifen. Er hoffte, sie hatte seine verborgene Botschaft empfangen: Ich habe an dich gedacht, ich habe die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit in meinem Herzen bewahrt. Und wichtiger noch, du und nur du allein warst mein Halt, wenn ich keine Hoffnung mehr für mich hatte. Er bezweifelte allerdings, dass sie vollständig begreifen würde, wie düster sein Leben in den vergangenen Jahren war, wie fernab vom Licht er sich bewegt hatte.
Beldon hüstelte diskret, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Grübelst du wieder über das Wetter nach,
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