Zärtlicher Eroberer
Packen zusehen. Als sie aus Veryan zurückgekehrt war, hatte sie das Gefühl gehabt, ein paar ihrer Sachen befänden sich nicht mehr am selben Ort. Auch war ihr gewesen, als hätte man ihren Sekretär durchsucht, unauffällig zwar, aber sie empfand das dennoch als Angriff auf ihre Privatsphäre. Der Brief, den sie in Bezug auf Valerian geschrieben, aber nie nach London abgeschickt hatte, lag nicht mehr an der Stelle, die sie in Erinnerung gehabt hatte. Aus einem unerklärlichen Grund fühlte sich diese Tatsache schwerwiegender an als nur die Nachlässigkeit einer unachtsamen Zofe, die das Zimmer aufräumte.
„Ach ja.“ Lucien nickte. „Ich möchte dir für deine Rolle als Gastgeberin danken. Alles verlief glänzend, genau wie ich gehofft hatte. Ich hatte Zeit, mich mit meinen Gästen über Geschäftliches zu unterhalten, und du hast dich um alles andere gekümmert. Außerdem muss ich mich entschuldigen. Ich bin mit unserer Beziehung nicht so umgegangen, wie ich es hätte tun sollen. Ich war rücksichtslos und egoistisch. Dadurch habe ich auch so erbärmliche Schlussfolgerungen gezogen.“ Er streckte den Arm aus und umfasste ihre Hand. Seine Hand fühlte sich warm an, und Philippa glaubte, dass diese Geste beschwichtigend wirken sollte. Doch Philippa fühlte sich nicht beschwichtigt. Sie hatte das unbestimmte Gefühl, als würden sie beobachtet. Und da Lucien sonst nicht dazu neigte, eigene Fehler zuzugeben, verstärkte sich in ihr der Eindruck, dass irgendetwas nicht stimmte, wenngleich sie nicht sagen konnte, was es war.
„Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest“, sagte sie und hoffte, ein schnelles Vergeben würde das Gespräch zu einem Ende bringen. Aber Lucien war noch nicht fertig.
„Doch, ich muss mich für alles entschuldigen. Mir war nicht bewusst, wie nahe ihr euch steht, du und St. Just, und dass er für dich ebenso ein Freund ist wie für deinen Bruder. Ich habe deinen Wunsch, einfach einige Momente mit einem alten Freund zu verbringen, völlig falsch ausgelegt. Er bekam etwas von deiner Zeit geschenkt – und ich nicht. Das hat mich ein wenig eifersüchtig gemacht, und Eifersucht kann das Wahrnehmungsvermögen eines Menschen beeinträchtigen; dann sieht man Dinge, die gar nicht da sind, oder man zieht falsche Schlüsse. Genau das habe ich mir zuschulden kommen lassen. Ich war sehr hart zu dir am Neujahrstag. Du hattest recht. Eifersucht steht mir nicht, und es gibt noch nicht einmal einen Grund dafür.“ Damit beendete Lucien seine hübsche Ansprache und fasste in seine innere Jackentasche. „Ich habe etwas für dich, Philippa.“ Er zog ein rechteckiges blaues Samtetui hervor, klappte es auf und zeigte ihr einen Saphiranhänger an einer feinen goldenen Halskette, sehr geschmackvoll und teuer aussehend und eindeutig nicht von einem der ortsansässigen Juweliere stammend. „Ich habe an Neujahr einen Scherbenhaufen angerichtet. Keine Frau möchte einen Heiratsantrag bekommen, der im Zorn formuliert wurde.“
„Das ist nicht nötig, du hast nichts wiedergutzumachen“, begann Philippa ausweichend. Genau jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für Mr. Danforth gewesen, in die Bibliothek zu kommen und über seine Bank zu schwafeln. Der seltsame Mann hatte sich bei Tisch auch nicht an das Protokoll höflicher Konversation gehalten, warum konnte er sich in diesem Moment nicht genauso unzivilisiert verhalten und einfach ins Zimmer stürmen?
Lucien erging sich nun in immer stärker werdenden Gefühlen für sie, und sie fand, sie sollte lieber aufmerksam zuhören. „Obwohl ich mein Verhalten während St. Justs Aufenthalt hier bereue, kann ich nicht bedauern, dass sein Besuch mir die Augen geöffnet hat. Ich weiß nun, dass ich mein Leben mit dir teilen möchte. Wir sind uns ebenbürtig in Rang und Intellekt. In dir sehe ich mehr als eine Ehefrau und Mutter meines Erben, ich sehe eine Partnerin. Würdest du mir die Ehre erweisen und meine Frau werden?“
Er hatte sich sogar auf ein Knie herabgelassen. Philippa war verblüfft, wie völlig anders diese Szene noch vor einem Monat auf sie gewirkt hätte. Da hätte sie wahrscheinlich spontan Ja gesagt, eine logische Konsequenz ihrer langjährigen Freundschaft. Freundschaft konnte durchaus ein Grund für eine Ehe sein, auch wenn keine Leidenschaft im Spiel war. Ihre erste Ehe hatte auf gegenseitiger Kameradschaft beruht, und Philippa hatte keine schlechte Erfahrung damit gemacht. Aber jetzt war alles irgendwie anders.
Trotzdem war sie nicht
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