Zärtlicher Eroberer
nur arrogant, er war ein Flegel. „Wie kannst du mir so etwas unterstellen!“
„Ach, da ist wieder dieses Wort, ‚unterstellen‘“, konterte Valerian belustigt. „Ich finde, ehe wir weitersprechen, sollten wir erst einmal klar festlegen, was du mit ihm meinst. Ich fange an zu glauben, dass wir das Wort unterschiedlich benutzen.“
Philippa platzte erneut der Kragen. „Wenn das deine Auffassung von Diplomatie ist, kann England nur froh sein, nicht in schwerwiegendere Konflikte verwickelt zu sein.“ Sie bereute diese Bemerkung auf der Stelle, denn sein Gesichtsausdruck wurde plötzlich eigenartig leer, als sei er in Gedanken auf einmal ganz woanders. Dieser Eindruck war jedoch so flüchtig, dass Philippa sich schon im nächsten Augenblick nicht mehr sicher war, ob sie sich das alles nicht nur eingebildet hatte.
„Aber dies ist keine diplomatische Situation, meine Liebe, sondern ein Spaziergang mit einer Freundin, die, ehrlich gesagt, etwas verwirrt über ihre Gefühle zu sein scheint.“
„Du nimmst dir zu viel heraus.“ Philippa blieb stehen und nahm ihre Hand von seinem Arm. Jetzt war er zu weit gegangen. Sie war bereit, mit ihm über geraubte Küsse oder „Unterstellungen“ zu streiten, aber sie würde nicht diesen Versuch zulassen, sie für den Ausgang ihrer früheren Geschichte verantwortlich zu machen. Auch hatte sie nicht vor, sich in seinen Augen zur lüsternen Witwe zu machen, die sich bereitwillig mit jedem gut aussehenden Gast des Hauses einließ. „Nach dem, was du getan hast, kannst du nicht einfach wieder in mein Leben treten und erwarten, dass dir nach nur zwei Tagen verziehen wird. Genauso wenig kannst du von mir erwarten, dass ich mich auf die Art von Affäre mit dir einlasse, wie du sie von anderen Frauen aus deinem Bekanntenkreis gewohnt bist.“ Sie kannte den Typ Frau nur zu gut, der sich in Valerians diplomatischen Kreisen bewegte.
Zu ihrer Befriedigung besaß er den Anstand, Reue zu zeigen. „Bist du fertig?“, fragte er schließlich ruhig und bohrte mit der Stiefelspitze eine kleine Vertiefung in den lehmigen Boden.
Einen Moment lang fühlte Philippa sich schrecklich. Sie war zu hart vorgegangen und hatte sich von ihm in Rage bringen lassen. Trotzdem war sie davon überzeugt, dass er sich für sein Tun zu rechtfertigen hatte. Es war das Beste, wenn sie beide genau wussten, wie sie sich fühlte. „Ja, ich glaube, ich bin fertig.“
Valerians Stimme klang bedrückt. „Es genügt wohl, festzustellen, dass ich damals ein solches Ende zwischen uns nicht wollte.“ Er schüttelte den Kopf, als wollte er unliebsame Erinnerungen vertreiben. „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen. Ich erwarte nicht, dass du das vergessen kannst, aber ich würde mich über jedes auch noch so kleine Anzeichen von Vergebung freuen, das du aufbringen kannst. Hast du in all den Jahren einmal überlegt, ob ich vielleicht Gründe für mein Verhalten hatte und ob diese geheim bleiben mussten? Immerhin kanntest du mich als Ehrenmann, Philippa.“
Sie schüttelte ebenfalls den Kopf. „Nein, Valerian, so hatte ich dich nicht in Erinnerung“, erwiderte sie leise.
Er nickte nur stumm und bot ihr wieder seinen Arm. Schweigend setzten sie ihren Weg fort, aber Philippa war nicht der schmerzerfüllte Ausdruck entgangen, der bei ihren Worten über sein Gesicht gehuscht war. Grausamkeit war ihr völlig fremd, und so bereute sie diese Worte, auch wenn sie nicht bereute, sie gedacht zu haben. Immerhin entsprachen sie für Philippa der Wahrheit. Trotzdem fiel es ihr schwer, Valerian zu verletzen, und das beunruhigte sie nicht wenig.
Sie sprachen erst wieder, als sie ihr Ziel erreicht hatten. „Aha, das ist also Trists Grottenpavillon oder zumindest das, was er einmal werden soll“,stellte Valerian betont locker fest, um das betretene Schweigen zu überbrücken.
„Ja, das ist er wohl“, bestätigte Philippa halbherzig. Sie war in Gedanken nicht bei der Grotte, die langsam ausgebaut werden sollte, sondern bei dem gut aussehenden Mann mit den breiten Schultern, der jetzt seinen eleganten Gehrock auszog und sich die Hemdsärmel ein Stück hochkrempelte, um sich die wahllos vor der Grotte herumliegenden Gesteinsbrocken genauer anzusehen. Philippa fand einen flachen Schieferblock und setzte sich darauf, um Valerian zu beobachten. Edel ist, wer edel handelt. Dieser Mahnspruch aus der Kinderstube schoss ihr plötzlich durch den Kopf. Valerian hatte diesem Sprichwort keine Ehre gemacht. Er hatte ihr
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