Zärtlicher Eroberer
Annehmlichkeit erkauft, die sich mit Geld bezahlen ließ. Er hat eine Zelle für sich allein. Jeden Tag bringe ich ihm persönlich hier im Haus zubereitetes Essen. Die Köchin kocht alle seine Lieblingsgerichte. Dazu versorge ich ihn mit sauberer Kleidung.“
Philippa betrachtete ihren Bruder und entdeckte Anzeichen von Erschöpfung in seinem Gesicht. Beldon war nur eine Woche vor ihr in London angekommen, aber es schien, als trennte sie eine Ewigkeit. In dieser Zeit war Beldon in eine düstere Welt eingetaucht, die sie sich beide nie hatten vorstellen können. Sie glaubte, am Schluss seiner Aufzählung ein unausgesprochenes „Aber“ herausgehört zu haben. „Sprich weiter“, drängte sie ihn.
„Für morgen ist eine erste Anhörung anberaumt, wo festgestellt werden soll, ob die Anschuldigungen überhaupt stichhaltig sind. Valerians Freunde in der Regierung sind außer sich. Immerhin ist es ihnen gelungen, dass kein großes Aufheben um die Sache gemacht wurde. Die Anhörung findet in Whitehall statt. Luciens Vater sitzt mit im Ausschuss.“ Lilya hielt erschrocken den Atem an, und Beldon legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm. „Wir werden sehr wachsam sein, Miss Stefanov. Valerian hat ebenfalls einen Freund im Ausschuss sitzen.“
„Wir sind nicht so weit gegangen, um uns jetzt einen Strich durch die Rechnung machen zu lassen. Ich habe Vertrauen zur englischen Justiz“, versicherte Philippa. Nachdem sie während der Reise so viel Zeit mit Lilya verbracht hatte, verstand sie deren Leben um einiges besser. Sie konnte die Reaktion des Mädchens nachvollziehen. In Lilyas Heimat war es unwahrscheinlich, dass jemand eine Anhörung, eine Gerichtsverhandlung oder das Gefängnis überlebte. Das waren alles nur sichere Vorboten des Galgens.
Philippa wünschte, sie könnte so zuversichtlich sein wie ihre Worte klangen. Sie hatte die volle Bedeutung von Beldons Neuigkeiten erfasst. Eine Anhörung würde die Entscheidung bringen. Wenn der Ausschuss die Klage abwies, musste Lucien sich beeilen, Valerian einem Unfall zum Opfer fallen zu lassen, solange er noch in Newgate war. Erwiesen sich die Anschuldigungen jedoch als begründet, dann wurde Valerian aller Wahrscheinlichkeit nach vor Gericht gestellt.
„Dürfen wir bei der Anhörung dabei sein?“
„Das könnte ich arrangieren“, meinte Beldon.
„Wie nimmt Valerian das alles auf?“, fragte Philippa. Diese Frage lag ihr am meisten auf dem Herzen, gleichzeitig fürchtete sie sich auch am meisten vor der Antwort. Wie hatte er auf den Brief reagiert? Gab er ihr die Schuld?
„Verhältnismäßig gut. Er ist ständig auf der Hut. Er weiß, in welcher Gefahr er zu diesem Zeitpunkt schwebt, aber es ermüdet ihn allmählich. Ich bleibe jeden Tag so lange wie möglich bei ihm, damit er schlafen kann. Manchmal spielen wir Schach, manchmal reden wir. Ich habe einen diskreten, von allen Seiten empfohlenen Anwalt für ihn gefunden, der Valerian auch schon mehrere Male besucht hat. Abends muss ich jedoch gehen. Valerian schläft nachts nicht, aus Angst, Lucien könnte im Dunklen seine Meuchelmörder schicken. Ich muss sagen, diese Angst ist nicht unbegründet. Und ich glaube auch, dass er Furcht vor seinen Träumen hat.“
„Wenn ich ihm doch nur helfen könnte.“ Philippas Augen füllten sich mit Tränen. Draußen war es mittlerweile vollkommen dunkel, und sie wollte bei Valerian sein, ihn in die Arme nehmen und ihn trösten. Gerade jetzt, am anderen Ende der Stadt, nahm er seine lange, einsame Nachtwache auf und fragte sich sicher, ob das wohl die Nacht werden würde, in der er um sein Leben kämpfen musste.
„Aber du hilfst ihm doch, Philippa. Er wusste deinen Brief sehr zu schätzen“, bemerkte Beldon geheimnisvoll.
Lilya verstand den stummen Wink. „Ich gehe nach oben und packe meine Sachen aus. Bestimmt finde ich jemanden, der mir mein Zimmer zeigt. Sie bleiben hier und unterhalten sich mit Ihrem Bruder, Philippa. Ich komme schon zurecht.“
„Ein Baby, Philippa? Bist du dir sicher?“, flüsterte Beldon aufgeregt, kaum dass sich die Tür hinter Lilya geschlossen hatte.
Philippa nickte. „Ich wollte nicht, dass er es zu spät erfährt. Mir scheint, Valerian und ich haben die unglückliche Angewohnheit, unsere Gespräche oft so lange hinauszuzögern, bis es zu spät ist.“
„Valerian war überglücklich, aber auch besorgt“, berichtete Beldon ehrlich. „Er möchte nicht, dass sein Kind in so gefährlichen Zeiten zur Welt kommt.“
Philippa legte die
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