Zärtlicher Hinterhalt
Tonfall sachlich und dachte dabei an eine besonders begriffsstutzige Schülerin, der sie ein Fallbeispiel zu erklären hatte. »Du hast mir niemals richtig zugehört. Du hast mir den Kopf getätschelt und mir erklärt, dass du es besser wüsstest. Ich hätte genauso gut nach draußen gehen können und was ich zu sagen hatte in den Wind schreien.«
»Ich habe dich angebetet.«
»Statt Anbetung wollte ich aber ein sinnvolles Leben.«
»Die meisten Frauen …«
Die meisten Frauen wären glücklich, faulenzen zu dürfen.
Wie oft hatte sie das von ihm gehört? Sie hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen. »Bitte. Nicht wieder die alte Leier.«
Er schien verwirrt. »Ich wollte sagen, die meisten Frauen wären glücklich, faulenzen zu dürfen – aber ich hätte wissen müssen, dass du nicht zu diesen Frauen gehörtest.«
Was sollte das heißen? Wollte er etwa sagen, dass er all die Jahre über im Unrecht gewesen war? Sie schaute ihn an, aber er saß nur ausdruckslos und angespannt da. Wenn er sich tatsächlich dahingehend geändert hatte, dass er Fehler eingestehen konnte … Sie musterte ihn nochmals gründlich.
Jetzt starrte er ihr mit einem solch durchdringenden Blick auf den Busen, dass Hannah sich trotz der vielen Schichten Stoff nackt vorkam.
Nein, er hatte sich nicht geändert. Wenn er jetzt Fehler zugab, dann aus anderen, niedrigen Beweggründen. Sie durfte nicht vergessen, wer er war, und auch nicht die harten Lektionen, die er ihr erteilt hatte.
Die Menschen änderten sich nicht.
Und Männer waren genau wie Menschen – nur schlimmer!
Dougald Pippard … sie kicherte leise. Er war ein Mann par excellence. Selbstbewusst bis in die Knochen. Tyrannisch, weil er sich immer im Recht wähnte. Von Großmutter und Vater dazu erzogen, sich – wie schon die lange Reihe seiner Ahnen – von Geburt an überlegen zu fühlen, die ultimative Krönung eines generationenlangen Ausleseverfahrens. Gegen diese Form der Indoktrination hatte eine Frau keine Chance. Und eine Frau, die nicht einmal die Wahrheit über die eigene Herkunft kannte, erst recht nicht. Eine Frau, die nicht einmal den Familiennamen ihres Vaters kannte. Sie tat gut daran, sich daran zu erinnern und Dougalds breite Schultern einfach zu ignorieren.
Also nahm sie erneut die abermals erlahmte Konversation auf. »Ich hatte mit Mutter zusammen einmal eine Welle in einem Dorf namens Setterington gelebt. Ein hübsches Örtchen, also habe ich diesen Namen gewählt.«
»Du hast mit deiner Mutter überall eine Weile gelebt.« Er sprach zu ihren Brüsten, als hätten sie Ohren. »Warum nennst du dich nicht York oder Bristol oder East Little Teignmouth? Warum Setterington?«
»Ich habe mich für Setterington entschieden, weil du von meinem Aufenthalt dort, glaube ich, nichts wusstest.«
Er ballte die Faust. »Nein, das wusste ich nicht.«
Hannah fragte sich, ob die neue Freimütigkeit zwischen ihnen beiden wohl zu einem besseren Verständnis führte oder zu schierer Gewalttätigkeit. Diesen Dougald kannte sie nicht.
So schroff wie möglich sagte sie: »Wenn du damit fertig bist, dich zu beklagen, würde ich gerne deine Tante kennen lernen – immer vorausgesetzt, es gibt diese Tante tatsächlich.«
»Meine liebe Hannah, in einer so bedeutsamen Angelegenheit würde ich dich niemals belügen.« Widerstandslos ließ er ihr den Themenwechsel durchgehen. Natürlich. Er betrachtete ihren Schachzug als Rückzug. »Eine Großtante zweiten Grades.«
»Ich erinnere mich nicht, dass du je eine solche Tante erwähnt hättest.«
»Wie auch. Wir sind derart entfernt verwandt, dass ich selber kaum je von ihr gehört habe. Aber Tante Spring hat ihr ganzes Leben lang auf Raeburn Castle gelebt …« Er seufzte besorgt. »… und sich Freundinnen hergeholt.«
»Freundinnen?«, fragte Hannah. »Man hat mir nichts von irgendwelchen Freundinnen mitgeteilt.«
»Damen vom alten Schlag und höchst geschäftig, die ich sozusagen zusammen mit dem Schloss geerbt habe.«
»Ah.« Sie verstand völlig. Wenn er sich das Wohlwollen seiner Leute sichern wollte, dann konnte er eine alte Dame nicht aus dem einzigen Zuhause werfen, das sie je gehabt hatte; und genauso wenig ihre Freundinnen.
Hannah studierte ihn eingehend, die bitteren Furchen um den Mund, die Strenge, die er verströmte. »Und ich soll mich um alle kümmern?«
»Tante Spring ist die Großtante, um die es geht. Sie leidet gelegentlich an einer gewissen Verwirrtheit und hat es sehr mit dem Weben.«
»Dem
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