Zärtlicher Hinterhalt
sie vor allen Unbilden des Lebens beschützt, und ihre Tochter hat sie dazu erzogen, es ihr gleichzutun. Schon seltsam die beiden. Die ewig fröhliche Tante Spring und die grimmige alte Mrs. Trenchard, die bei jeder sich bietenden Gelegenheit Spring unter ihre Schürze nimmt.«
Das erklärte auch die Befragung von gestern Abend. »Man hat mich also geholt, damit ich Mrs. Trenchard ersetze?«
»In gewisser Weise. Mrs. Trenchard ist hier zwar die Haushälterin, aber sie gibt nicht leicht Verantwortung ab.«
Miss Minnie hatte anscheinend entschieden, dass es jetzt genug des Getuschels war; denn sie starrte die beiden an und dröhnte: »Das Essen steht dort drüben. Sie dürfen sich ruhig selbst bedienen, wir kommen am Morgen ohne Förmlichkeiten aus.«
»Danke, Madam. Ich habe auch wirklich Appetit nach der Reise.« Hannah ging zur Anrichte und entdeckte dort eine derartige Auswahl, dass sie am liebsten laut jubiliert hätte. Nirgendwo aß man besser als auf einem englischen Landsitz, und sie wusste, wovon sie sprach.
Sir Onslow trat neben sie und rieb sich erwartungsvoll die Hände. Das und die glänzenden Augen, als er den frisch gebackenen Berg Scones entdeckte, erklärte auch den kleinen Bauch, der dem flotten Schnitt seines Gehrocks einen Strich durchs Konzept machte.
Hannah griff zur Vorlegegabel, um ein paar Würstchen auf ihren Teller zu legen.
Tante Ethel erklärte mit süßer, durchdringender Stimme: »Wenn die junge Dame weiter so ungeniert mit jedem Gentleman im Schloss flirtet, werden wir ihr schnell einen Ehemann suchen müssen.«
Daraufhin verfehlte Hannah mit ihrer Gabel die Würstchen, und die Zinken landeten mit einem
Bing!
auf der Porzellanplatte.
Tante Spring sagte: »Sie flirtet ja vielleicht mit Seaton …«
Hannah wagte es nicht, Sir Onslow anzusehen.
»… aber
geküsst
hat sie Dougald!«
»So schnell schon?« Sir Onslow hörte sich erfreut an – der Raconteur hatte einen neuen Leckerbissen an Tratsch.
Miss Setterington ignorierte die Bemerkung. Onslow war das Geringste ihrer Probleme.
Mrs. Trenchard warf Hannah einen entsetzten Blick zu und scheuchte die plötzlich hustende Dienerschaft davon.
Die Tanten waren Kupplerinnen! Was Hannahs Erfahrung nach Probleme mit sich brachte, weil solche Damen ihre Opfer gerne manipulierten, bis das Ziel erreicht war die Eheschließung zweier Angeschmierter.
Seit Jahren wanderte Hannah auf einem schmalen Grat um die Fallen herum, dfe ihr und den verschiedensten Gentlemen von wohlmeinenden Bekannten gestellt wurden. Das musste sie auch. Ehestifter scheuten sich nicht, einen in kompromittierende Situationen zu treiben, und die betreffenden Gentlemen hatten sich mehr als einmal bereit gefunden, sich in selbiger Situation erwischen zu lassen. Doch Hannah erlag keinerlei Versuchung.
Wie auch. Sie war ja bereits verheiratet.
Aber was jetzt, wo die Drahtzieherinnen nicht unbedingt subtil vorgingen?
»Vielleicht will sie gar keine Eheschließung. Vielleicht zieht sie eine Serie von Affären vor. Nachdem ich Irving geheiratet hatte, erschien mir eine Serie von Affären auch als die klügere Idee.« Tante Isabel setzte noch nachdenklich hinzu. »Ich frage mich, ob ich wohl irgendeinen Mann zu einer Affäre überreden könnte.«
»Miss Setterington ist doch mit Dougald schon so gut wie verheiratet«, erklärte Miss Minnie.
»Guten Morgen!« Dougald sprach laut genug, sich übers Stimmengewirr hinweg Gehör zu verschaffen, weswegen die Stille, die augenblicklich eintrat, umso peinlicher war. Irgendwie dachte Hannah, hatte sich seine dunkle Präsenz wie ein Schatten über die allgemeine Heiterkeit gelegt.
Hannah wollte ihn eigentlich nicht ansehen, nicht an die letzte Nacht erinnert werden – als seien ihre Küsse verabscheuungswürdiger als seine Drohungen und Hinterhältigkeiten. Aber sie zagte nur einen winzigen Moment; dann straffte sie die Schultern, drehte sich um und schaute direkt in seine Richtung.
Und schnappte nach Luft.
Kapitel 11
Es war nicht etwa Dougalds dunkle Präsenz, die für die abrupte Stille sorgte, sondern sein Erscheinungsbild. Ein Auge war purpurrot und zugeschwollen, die Lippe eingerissen und dick, er hatte einen Kratzer auf der Wange und eine gänseeigroße Beule auf der Stirn.
Bevor irgendwer etwas äußern konnte, sagte er: »Ich bin vom Pferd gefallen.«
Eine Lüge! Hannah hatte ihn schon einmal in ähnlicher Verfassung gesehen. Nach einem Faustkampf am Abend eines vergangenen Johannistages, als jede Menge Ale und
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