Zärtlicher Hinterhalt
tauchte sie ins Tintenfass.
»Aber Miss Setterington wartet jetzt schon …«
Dougald wies mit der Feder auf seinen Diener. »Ich möchte von Ihnen kein einziges Wort mehr über Miss Setterington hören.«
»Aber Mylord …«
»Kein einziges Wort!« Dougald wandte sich wieder seiner Arbeit zu.
Die Knie fest nebeneinander, die Hände gefaltet, die Lippen geschürzt und von einer Wut erfüllt, die die Grenzen des Erträglichen zu sprengen drohte, saß draußen vorm Arbeitszimmer Hannah und fragte sich, was nur mit Dougald los war. Sie hatte eine einzige Angelegenheit mit ihm zu besprechen, und zwar die Erlaubnis, Queen Victoria nach Raeburn Castle einzuladen. Was ungefähr eine Minute dauern würde, aber man hatte ihr diese Minute noch nicht gewährt. Es gehörte sich ja leider nicht, beim Dinner zu fragen. Zwei Wochen lang war sie Tag für Tag vom Handarbeitszimmer der Damen heruntergetrottet, den Korridor entlang, durchs Foyer, an der Hauskapelle vorbei bis in den trüben, fensterlosen Vorraum des Arbeitszimmers. Und jeden Tag war sie dort auf Charles gestoßen, der von Kerzen umgeben an seinem Schreibtisch saß und ihr wie der Teufel in Menschengestalt erschien mit seinem dünnen, weißen, abstehendem Haar und den großen, schwarzen, gepeinigten Augen. Sie hatte ihr Anliegen vorgetragen, und Charles pflegte darauf in Dougalds Studierzimmer zu verschwinden, die Tür hinter sich zu zuschließen und fast augenblicklich wieder aufzutauchen, um ihr mitzuteilen, dass Dougald zu beschäftigt sei, um sie zu empfangen.
Heute dauerte es länger.
Sie hätte aufgeben und Charles ihre Nachricht überbringen lassen sollen, aber dazu war sie zu dickköpfig. Die gleiche Szene hatte sie schon während ihrer Ehe unaufhörlich durchspielen müssen, und heute passte es ihr weniger denn je.
Hannah erhob sich, durchquerte das Vorzimmer und ging zu der Seitenkapelle, die Teil des ursprünglichen Festungsbaus war: errichtet, als auf der Insel noch die Angelsachsen und Normannen um die Vorherrschaft fochten. Auf der linken Seite zeigte ein hohes Glasfenster die heilige Martha und spendete dem kleinen Gotteshaus farbiges Licht. Die geschnitzten Balken des Deckengewölbes hatte die Zeit mit ihrer Patina überzogen. Oben waren die Wände weiß verputzt, unten mit reich geschnitztem, schimmerndem Holz vertäfelt. Die Kirchenbänke glänzten, blank gewetzt von den Händen und Körpern der Gottesfürchtigen. Neben dem Altar führte eine schmale Tür zur Sakristei. Kerzen, die in eisernen Leuchtern steckten, warfen ihr flackerndes Licht auf den Altar, und die Mauern selbst schienen Frieden zu atmen.
Hätte Hannah nur für sich selbst diesen Frieden gefunden.
»Charles, ich muss auf der Stelle mit Dougald sprechen!«
Charles betrachtete Hannah mit erhobener Nase. »Monsieur Pippard ist viel zu beschäftigt, als dass man ihn während der Arbeitszeit mit häuslichen Angelegenheiten belästigen könnte. Klären Sie Ihre dringlichen Probleme lieber heute Abend.
«
»Ich bin seine Frau. Ich habe ein Recht, ihn zu sprechen, wann immer ich will!«
»Trotzdem können Sie ihn unmöglich mit Ihren Alltagssorgen belästigen. Eine gute Ehefrau macht es ihrem Gatten bequem, wenn er nach einem geschäftigen Tag in seine vier Wände zurückkehrt. Sie vergewissert sich, dass das Haus in bester Ordnung ist, macht sich schön und beschwert sich nicht.«
»Ich muss mir von Ihnen nicht sagen lassen, wie ich mich meinem Mann gegenüber zu verhalten habe.
«
»Offensichtlich doch, sonst wären Sie jetzt ja nicht hier.«
Das Echo dieser schrecklichen Zeiten hallte immer noch in Hannahs Ohren wieder. Wie konnte Charles es wagen, heute wie damals, ihre Anliegen als unwichtig abzutun? Und wie konnte Dougald es wagen, sie derartig zu ignorieren? Sie war die ehemalige Inhaberin der Vornehmen Akademie der Gouvernanten! Die jungen Damen hatten sich unter ihrem vorgesetzten Blick gewunden! Und jetzt ließ man sie nicht einmal in dieses Arbeitszimmer, wo sie mit ihrem Blick Dougald hätte durchbohren können!
Sie drehte sich um und schaute empört auf die geschlossene Tür des Arbeitszimmers. Charles war jetzt schon eine ganze Welle da drin. Vielleicht hatte Dougald sein kindisches Bedürfnis sie abzuweisen inzwischen ja überwunden und würde sie nach einer Welle vorsprechen lassen.
»Um Himmels willen, Hannah! Fängst du jetzt schon wieder mit diesem Modegeschäft an! Ich kann dein Gejammer nicht mehr ertragen.«
»Ich jammere nicht, sondern erinnere dich an
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