Zärtlicher Hinterhalt
wäre geradezu eine Frivolität gewesen ungeachtet aller Vergnügungen, in denen er und seine Frau sich verstohlen ergingen, wenn die Nacht am dunkelsten war.
Er runzelte die Stirn. Noch fehlte es ihm an Disziplin. Unverzüglich hätte er Hannah fortschicken sollen, als sie heute Abend bei ihm aufkreuzte. Stattdessen hatte er ihr Erscheinen als Sieg verbucht. ja, er pflegte das nun einmal so zu sehen. Als einen Sieg.
Dougald stützte sich auf und drückte sie in die Kissen. »Ich kann dich die Unbequemlichkeiten vergessen machen«, schmeichelte er und beugte sich über sie.
Sie verschränkte die Hände in seinem Nacken. »Ja, sei so gut. Aber heute ist es dann wirklich das letzte Mal!«
Hannah bahnte sich zwischen Leitern und Planen einen Weg den oberen Korridor entlang. Sie pflegte morgens schon sehr früh ins Handarbeitszimmer zu gehen, weil sie dann ein paar ruhige Minuten hatte, um die Webarbeiten für den Tag zu verteilen, bevor die Handwerker kamen. Ein paar ruhige Minuten, von denen sie nicht recht wusste, ob sie sie wirklich haben wollte. Doch solange sie beschäftigt war, hatte sie wenigstens keine Zeit, an Dougald zu denken und wie entsetzlich schwach er sie immer wieder werden ließ. Wenn die Sonne aufging und ihre Lust befriedigt war, nahm sie sich vor, Dougald fernzubleiben, seine Annäherungsversuche abzuwehren und ihrer Prinzipientreue ausreichende Befriedigung abzugewinnen.
Aber die letzten beiden Wochen hatte sie sich Nacht für Nacht im Bett gewälzt und genau gewusst, dass er ein Stück den Flur hinunter auf sie wartete und sie wollte. Meist hatte sie ihr Kissen umklammert und in die Dunkelheit gestarrt. Aber manchmal hatte sie auch das kalte, enge Bett verlassen und sich zu seiner Tür geschlichen. Der dunkle Flur war so einsam wie sie. Die zahllosen, leeren Zimmer machten ihr Angst. Aber Dougald zog sie an wie das Licht die Motte, und wie die Motte verglühte sie in seinem Feuer. Wahn, doch welch süßer Wahn!
Und in den Nächten, in denen sie nicht zu ihm ging kam er zu ihr.
Sie zweifelte immer noch an seinen Absichten; aber Vergnügen und gegenseitige Anziehung überlagerten unerbittlich die traurigen Erinnerungen. Langsam fing sie zu hoffen an, schwankte häufig zwischen jubel und Betrübnis. War es dumm zu glauben, sie könnten wieder zueinander finden, oder noch dümmer, sich einzureden, Dougald wolle sie nur unterjochen?
Aber Leidenschaft war eine Sache.
Liebe eine andere.
War das Gefühl, das sich in ihr regte, Liebe? Nicht die Liebe natürlich, die sie sich vor neun Jahren mädchenhaft und unreif ausgemalt hatte, sondern ein viel tieferes Gefühl, das Dougalds Mut erkannte – aber auch seine Ängste und seine Fehler? Eine Liebe, die nicht nur dennoch liebte, sondern auch deswegen?
Was sollte aus ihr werden, falls sie ihn liebte?
Hannah trat durch die Tür zum Turm und schaute die Wendeltreppe hinauf. Die enge Stufenspirale führte zu einem Treppenabsatz direkt vorm Turmzimmer der Tanten. Die einfachen Holzstufen waren abgetreten, und man hatte zur Sicherheit der Tanten einen rauen Handlauf installiert.
Sie fürchtete, Queen Victoria werde das Zimmer sehen wollen, in dem der Wandteppich entstanden war. Also strich man hastig die Wände, und der Zimmermann hatte begonnen, die Holzbretter durch polierte Eichenstufen zu ersetzen und ein geschwungenes Treppengeländer aus Kirschbaum einzubauen. Am Ende würde alles wunderbar aussehen; aber für den Moment zog Hannah es noch vor, jede Stufe erst mit dem Fuß zu überprüfen, bevor sie ganz darauf trat. Schließlich gingen die Arbeiten in ungebührlicher Eile voran, und ein einziger Pfusch konnte eine unnötige Verletzung nach sich ziehen.
Endlich oben angelangt, seufzte Hannah erleichtert. Die Tanten konnten die Treppe jedenfalls ohne Bedenken hinaufsteigen, wenn sie heute Morgen zum Weben anrückten.
Der Schlüssel zum Handarbeitszimmer steckte in einem Täschchen an Hannahs Gürtel. Sie fingerte danach, während sie auf die Tür zutrat – und schrie laut auf, als die Bodendiele barst und ihr Fuß ins Nichts trat.
Kapitel 19
Dougald stand im Schlafzimmer strumpfsockig seinem mit Verspätung aufgetauchten Kammerdiener gegenüber. »Wenn Sie schon darauf bestehen, dass mein Halstuch korrekt gebunden ist, Charles – dann würde ich vorschlagen, dass Sie auch zur rechten Zeit erscheinen, um mir beim Ankleiden behilflich zu sein.«
Charles' spärliche Strähnen standen tollkühn um seinen Kopf herum, die Jacke klaffte, und sein
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