Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
Fällen, in denen er etwas Charmantes oder Nettes zu ihr gesagt hatte – natürlich nur zu experimentellen Zwecken –, hatte sie ihn absichtlich missverstanden.
Leo hatte nie begriffen, warum ihre Bekanntschaft von Anfang an auf einem so schlechten Fundament gebaut war, oder warum sie derart entschlossen war, ihn zu hassen. Und noch verwirrender war die Frage, warum ihm das etwas ausmachte. Kratzbürstig, scharfzüngig und engstirnig wie sie war, eine geheimnistuerische Person mit harten Zügen und einer arroganten kleinen Nase … sie verdiente grünes Haar, und sie verdiente auch, dafür verspottet zu werden.
Die Zeit der Rache war gekommen.
Als Leo lässig auf sie zuschlenderte, hob sie den Blick, und das Sonnenlicht spiegelte sich in den Gläsern ihrer Brille. »Oh«, sagte sie missmutig. »Sie sind zurück.«
Ihre Stimme klang so, als hätte sie gerade eine Ungezieferplage festgestellt.
»Hallo Marks«, begrüßte Leo sie heiter. »Hmmm. Sie sehen anders aus. Was kann das nur sein?«
Sie blickte ihn finster an.
»Ist das die neueste Mode, die Verpackung da um den Kopf?«, erkundigte er sich mit höflichem Interesse.
Marks schwieg eisern.
Der Augenblick war köstlich. Er wusste es, und sie wusste, dass er es wusste. Schamesröte kroch in ihr Gesicht.
»Ich habe Poppy aus London mitgebracht«, teilte Leo von sich aus mit.
Die Augen hinter den Brillengläsern blitzten wachsam auf. »Ist Mr Rutledge auch hier?«
»Nein. Aber ich nehme an, er wird nicht lange auf sich warten lassen.«
Die Gesellschafterin stand von der Mauer auf und klopfte sich die Röcke ab. »Ich muss mit Poppy sprechen …«
»Dafür wird noch genug Zeit sein.« Leo stellte sich ihr in den Weg. »Aber bevor wir zum Haus zurückkehren, sollten wir uns wieder ein wenig vertraut machen, finde ich. Wie läuft’s denn so, Marks? Irgendwelche interessanten Neuigkeiten?«
»Sie sind nicht besser als ein Zehnjähriger«, sagte sie vehement. »Allzeit bereit, über das Unglück eines anderen mit Schadenfreude herzufallen. Sie kindisches, engherziges …«
»Ich bin sicher, es ist gar nicht so schlimm«, sagte Leo liebenswürdig. »Lassen Sie mal sehen, und ich sag Ihnen, ob …«
»Rühren Sie mich nicht an!«, schnauzte sie und versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen.
Leo hielt sie mühelos auf, und ein Kichern entfuhr ihm, als sie versuchte, ihn beiseitezuschieben. »Versuchen Sie etwa, mich aus dem Weg zu schubsen? Sie sind nicht stärker als ein Schmetterling. Hier … Ihr Kopfschutz ist schief … lassen Sie mich mal …«
»Finger weg!«
Sie kämpften, der eine zum Spaß, die andere verzweifelt, um sich schlagend.
»Nur ein kurzer Blick«, bettelte Leo, und sein Lachen endete in einem Grunzen, als sie sich herumdrehte und ihm einen Ellbogen in die Magengrube stieß. Er griff nach dem Kopftuch und schaffte es, den Knoten zu lösen. »Bitte. Ich wünsche mir nichts mehr im Leben, als …« Er zog noch einmal an dem Tuch. »… Sie mit …«
Aber Leo verstummte, als das Tuch zu Boden fiel, und das hervorquellende Haar kein bisschen grün war. Eine blonde Pracht … Bernstein und Champagner und Honig … ergoss sich in glänzenden Wellen bis zu ihrer Rückenmitte.
Leo wurde still, er hielt sie fest, und mit erstaunten Augen sah er sie an. Beide rangen nach Luft, erschöpft und außer Atem wie zwei Rennpferde. Hätte er ihr soeben die Kleider vom Leib gerissen, Marks hätte nicht entsetzter dreinblicken können. Und ebenso hätte auch Leo nicht verwirrter – oder erregter – sein können, hätte er sie tatsächlich nackt gesehen. Wenn er auch ganz bestimmt willens gewesen wäre, es zu versuchen.
Leo war so durcheinander, dass er überhaupt nicht wusste, wie er reagieren sollte. Nur Haare, nichts als gelockte Haare … Aber es war, als hätte man einem zuvor gewöhnlichen Gemälde den perfekten Rahmen gegeben, der es erst in seiner ganzen bezaubernden Schönheit erstrahlen ließ. Catherine Marks im Sonnenlicht war eine mythische Gestalt, eine Nymphe, mit feinen Zügen und opaleszierenden Augen.
Am meisten verwirrte ihn die Erkenntnis, dass es nicht die Haarfarbe war, die all das vor ihm verborgen gehalten hatte … Nein, er hatte nie bemerkt, wie umwerfend sie war, weil sie ihn absichtlich davor bewahrt hatte.
»Warum«, fragte Leo heiser, »verstecken Sie etwas so Wunderschönes?« Er starrte sie an, verschlang sie mit Blicken, und mit noch sanfterer Stimme fügte er hinzu: »Wovor verstecken Sie sich?«
Ihre Lippen
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