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Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight

Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight

Titel: Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Kleypas
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Harry etwas zu bald nach ihrer Hochzeit auf die Welt, so dass es eine Menge Spekulationen gab, ob Arthur nun der Vater war oder nicht. Ich glaube, die Gerüchte bewirkten, dass sie sich gegenseitig entfremdeten. Wie auch immer, jedenfalls ging die Ehe nicht lange gut. Nach Harrys Geburt hatte Nicolette einige Affären, bis sie schließlich mit einem ihrer Liebhaber durchbrannte und nach England ging. Harry war damals gerade mal vier Jahre alt.«
    Sie setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. Tatsächlich war sie so in Gedanken versunken, dass sie gar nicht zu merken schien, wie das Frettchen in ihren Schoß kroch und es sich dort bequem machte. »Harrys Eltern hatten sich schon vorher wenig um ihn kümmert. Nachdem Nicolette jedoch fort war, wurde er gänzlich vernachlässigt. Nein, schlimmer – er wurde bewusst isoliert. Arthur steckte ihn in eine Art unsichtbares Gefängnis. Das Hotelpersonal wurde angewiesen, sich so wenig wie möglich mit dem Jungen zu beschäftigen. Er war oft allein in seinem Zimmer eingesperrt. Und selbst wenn er seine Mahlzeiten in der Küche einnahm, scheuten sich die Angestellten davor, mit ihm zu sprechen, aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen. Arthur hatte dafür gesorgt, dass Harry etwas zu essen, Kleider und Bildung bekam. Niemand konnte behaupten, dass man Harry misshandelte, denn er wurde weder geschlagen noch ließ man ihn hungern. Aber es gibt andere Methoden, einen Menschen kaputtzumachen, als tatsächliche Gewalt.«
    »Aber warum?«, fragte Poppy mit Mühe. Sie versuchte zu begreifen, was es bedeutete, ein Kind unter so grausamen Bedingungen aufwachsen zu lassen. »War der Vater so rachsüchtig, dass er imstande war, ein Kind für die Taten seiner Mutter zu bestrafen?«
    »Harry war die Erinnerung an all die erlebte Erniedrigung und Enttäuschung. Und mit großer Wahrscheinlichkeit ist Harry auch gar nicht Arthurs Sohn.«
    »Das ist keine Entschuldigung«, brach es aus Poppy hervor. »Ich wünschte … oh, jemand hätte ihm helfen müssen.«
    »Viele der Hotelangestellten fühlten sich entsetzlich schuldig für das, was man Harry antat. Insbesondere die Haushälterin. Einmal kam es ihr schlagartig in den Sinn, dass sie das Kind zwei Tage lang nicht gesehen hatte, und sie ging ihn suchen. Er war ohne Essen in seinem Zimmer eingesperrt … Arthur war so beschäftigt gewesen, dass er vergessen hatte, ihn herauszulassen. Da war Harry gerade mal fünf.«
    »Niemand hat ihn weinen hören? Hat er nicht versucht, sich Gehör zu verschaffen?«, fragte Poppy erregt.
    Catherine sah auf das Frettchen hinunter und streichelte es zwanghaft. »Die Grundregel des Hotels war es, niemals die Gäste zu belästigen. Seit seiner Geburt hatte man ihm dieses Gesetz eingetrichtert. Also wartete er still, in der Hoffnung jemand würde sich an ihn erinnern und ihn holen kommen.«
    »Oh, nein«, flüsterte Poppy.
    »Die Haushälterin war so entsetzt«, fuhr Catherine fort, »dass es ihr gelang herauszufinden, wo Nicolette lebte, und sie schrieb ihr Briefe, in denen sie ihr die Situation beschrieb, in der Hoffnung, sie würde ihn holen lassen. Alles, selbst eine Mutter wie Nicolette, war besser, als die schreckliche Isolation, die man Harry auferlegt hatte.«
    »Aber Nicolette ließ ihn nicht holen?«
    »Erst viel, viel später, als es längst zu spät war für Harry. Zu spät für alle, wie sich herausstellte. Nicolette wurde von einer zehrenden Krankheit heimgesucht. Es war ein langer, schleichender Verfall, aber als das Ende nahte, ging es plötzlich schnell. Sie wollte sehen, was aus ihrem Sohn geworden war, bevor sie starb, also schrieb sie ihm mit der Bitte zu kommen. Er verließ London mit dem nächsten Schiff. Er war schon erwachsen, zwanzig oder so. Ich weiß nicht, was er sich von dem Treffen mit seiner Mutter versprach. Zweifellos hatte er viele Fragen. Ich glaube, die große Unsicherheit, ob sie wegen ihm fortgegangen war, begleitet ihn heute noch.« Catherine verstummte, zu sehr versunken in ihren eigenen Gedanken. »Meistens geben sich Kinder selbst die Schuld dafür, wie sie behandelt werden.«
    »Aber es war nicht seine Schuld«, rief Poppy. Ihr Herz wand sich vor Mitleid. »Er war doch nur ein kleiner Junge. Kein Kind hat es verdient, verlassen zu werden.«
    »Ich bezweifle, dass ihm das schon mal jemand gesagt hat«, warf Catherine ein. »Er spricht mit niemandem darüber.«
    »Und was hat seine Mutter gesagt, als er bei ihr war?«
    Catherine wandte den Blick ab, offenbar außerstande,

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