Zärtlicher Nachtwind - Kleypas, L: Zärtlicher Nachtwind - Tempt me at Twilight
über sie herfallen wollte, sah er, wie verzweifelt Poppy ihr Buch umklammerte, so fest, dass ihre Fingerspitzen blutleer waren. Sie sah ihn nicht an.
Sie wollte ihn nicht.
Warum ihm das etwas ausmachte, war ihm schleierhaft.
Aber es machte ihm etwas aus.
Verdammt!
Unter Aufbringung all seiner Willenskraft gelang es Harry, einen kühlen Ton anzuschlagen. »Ein anderes Mal, vielleicht. Heute fehlt mir die Geduld, um dir Privatunterricht zu erteilen.«
Er verließ das Schlafzimmer und ging ins Bad, um sich zu waschen und sein Gesicht mit kaltem Wasser zu erfrischen.
»Und?«, erkundigte sich Küchenmeister Broussard, als Jake Valentine am nächsten Morgen die Küche be-trat.
Mrs Pennywhistle und Küchenmeister Rupert, die an der langen Tafel standen, blickten ihn erwartungsvoll an.
»Ich habe euch gleich gesagt, dass es keine gute Idee ist«, sagte Jake und starrte die drei wütend an. Er setzte sich auf einen Stuhl, nahm ein warmes Croissant von einem Tablett mit Frühstücksgebäck und schob es sich zur Hälfte in den Mund.
»Unser Plan hat nicht funktioniert?«, hakte die Haushälterin vorsichtig nach.
Jake schüttelte den Kopf, schlang das Croissant hinunter und deutete auf die Kanne mit frischem Tee. Mrs Pennywhistle goss ihm Tee ein und gab ein Stück Zucker in die Tasse, bevor sie sie ihm reichte.
»Soweit ich das beurteilen kann«, grummelte Jake, »hat Rutledge die Nacht auf dem Sofa verbracht. Ich habe ihn noch nie in so schlechter Stimmung erlebt. Er hätte mir fast den Kopf abgerissen, als ich ihm die Managerberichte brachte.«
»Auwei!«, murmelte Mrs Pennywhistle.
Broussard schüttelte ungläubig den Kopf. »Was ist nur mit euch Engländern los?«
»Er ist kein Engländer, er ist gebürtiger Amerikaner«, schnauzte Jake.
» Ah oui «, sagte Broussard, dem diese ungehörige Tatsache nun doch wieder einfiel. »Amerikaner und Romantik. Das ist, als würde man einem Vogel zusehen, der versucht mit einem Flügel zu fliegen.«
»Was sollen wir jetzt tun?«, erkundigte sich Küchenmeister Rupert besorgt.
»Nichts«, sagte Jake. »Unsere Einmischung hat nicht nur nichts gebracht, sie hat die Situation sogar noch schlimmer gemacht. Sie sprechen kaum noch miteinander.«
Poppy verbrachte den Tag in einer düsteren Stimmung. Sie konnte nicht aufhören, sich um Michael Sorgen zu machen, wohl wissend, dass sie nichts für ihn tun konnte. Obwohl sein Unglück nicht ihre Schuld war – wäre sie noch einmal vor dieselbe Wahl gestellt worden, sie hätte alles genau so gemacht –, fühlte sich Poppy dennoch verantwortlich. So als hätte sie allein dadurch, dass sie Harry geheiratet hatte, einen Teil seiner Schuld übernommen.
Nur, dass Harry überhaupt unfähig war, sich für irgendetwas schuldig zu fühlen.
Poppy glaubte, es würde alles einfacher machen, wenn sie sich nur dazu bringen könnte, Harry zu hassen. Aber trotz seiner unzähligen Fehler, hatte er etwas an sich, das sie rührte, sogar jetzt noch. Seine entschlossene Einsamkeit … seine Weigerung, emotionale Bindungen zu den Menschen einzugehen, die um ihn herum lebten, oder den Gedanken aufkommen zu lassen, das Hotel könnte sein Zuhause sein … alle diese Dinge waren Poppy so völlig fremd.
Wie in Gottes Namen hatte ausgerechnet sie, die sich nichts mehr gewünscht hatte als Zuneigung und Intimität, einen Mann heiraten können, der – im Grunde seines Herzens – weder zu dem einen noch zu dem anderen in der Lage war? Harry wollte nichts weiter als ihren Körper und den Schein einer Ehe.
Sie hatte aber weit mehr zu geben. Und er würde sie ganz nehmen müssen, mit allem, was zu ihr gehörte, oder eben gar nicht.
Am Abend kam Harry in das Apartment, um mit Poppy gemeinsam zu essen. Er teilte ihr mit, dass er nach dem Abendessen ein paar Gäste in seiner privaten Bibliothek empfangen würde.
»Um welche Gäste handelt es sich?«, wollte Poppy wissen.
»Jemanden aus dem Kriegsministerium. Sir Gerald Hubert.«
»Darf ich fragen, worum es bei dem Treffen geht?«
»Frag lieber nicht.«
Poppy starrte in seine unergründliche Miene und spürte, wie ihr ein Schauer des Unbehagens über den Rücken lief. »Muss ich Tischdame spielen?«, erkundigte sie sich.
»Das wird nicht nötig sein.«
Es war ein nasskalter Abend, der Regen prasselte gegen die Fenster und wusch den Schmutz von den Straßen, der in schlammigen Strömen abfloss. Das gezwungene Abendessen war beendet, und zwei Hausmädchen kamen herein, um den Tisch abzuräumen und
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