Zärtlicher Sturm
sollte.
Ihr war nach Weinen zumute, aber das hatte sie Stephanie nicht geschrieben. Stunden hatte sie damit zugebracht, den Brief so zu formulieren, daß ihre Schwester nicht in Panik geriet und sich nicht vor Gebissensbissen zerfleischte. Sie hatte nur zum Ausdruck bringen wollen, daß sie hier nicht allzu lange bleiben konnte und daß Stephanie sich etwas anderes einfallen lassen mußte, da sie von hier aus nicht die Möglichkeit dazu hatte.
Sharisse zog sich betont langsam an, um den unvermeidlichen Augenblick, in dem sie Lucas Holt wieder gegenübertreten mußte, möglichst lange hinauszuschieben. Charley lag noch schlafend in dem leeren Waschzuber, in dem er sich gestern abend zusammengerollt hatte. Sie fragte sich, ob er sich wohl an die Hitze gewöhnen und weniger Fell verlieren würde. Sie fragte sich, ob es ihr möglich sein würde, sich an die Hitze zu gewöhnen. Gewappnet verließ sie den Raum.
Sie war erleichtert, als sie feststellte, daß niemand im Wohnzimmer war, doch dann merkte sie, daß sie Hunger hatte. Weder auf dem Tisch noch auf dem Herd stand Essen für sie bereit, noch nicht einmal eine Kanne Kaffee. Sie stellte ihr Tablett mit dem Abendessengeschirr neben den Spülstein und zog ein Durchforsten der Speisekammer in Erwägung. Sie vermutete, daß hier früh gegessen wurde und sie das Frühstück ganz schlicht verpaßt hatte.
Ehe sie die Tür öffnen konnte, öffnete sich diese von außen, und Lucas trat ein. Sein Blick fiel auf ihre Kleidung, über die Rüschen und Spitzen.
»Gehst du aus?«
Sharisse war überrascht. »Ich habe mich nicht ausgehfertig gemacht«, sagte sie, als müsse sie einem kleinen Kind etwas erklären. »Das ist hier ein schlichtes Morgenkleid.«
Er lachte. »Meine Süße, das, was du da anhast, ist schicker als alles, was die Damen in Newcomb am Sonntag tragen. Und das soll kein Kleid zum Ausgehen sein?«
Sie war entrüstet. »Ich fürchte, etwas Schlichteres habe ich nicht, abgesehen von meinem Reisekostüm.«
»Und das ist zu warm«, sagte Lucas kopfschüttelnd. »Ich sehe schon, daß ich dir neue Kleider besorgen muß.«
Sharisse errötete. »Ich komme schon mit dem zurecht, was ich habe.«
»So? Und damit willst du Hausarbeiten erledigen?«
Hausarbeiten? »Wenn … wenn es sein muß«, sagte sie bestürzt.
»Wie du meinst.« Er wollte sich auf keine Diskussion mit ihr einlassen. »Wo ist das Frühstück?«
»Es gibt keins.«
»Das sehe ich selbst«, erwiderte er geduldig. »Wann fängst du damit an?«
»Ich?« stieß sie hervor. »Aber ich kann nicht kochen.«
»Du kannst nicht kochen? Dann wirst du es wohl in aller Eile lernen müssen.«
»Aber wer hat denn bisher gekocht?«
»Ich oder Mack, und manchmal hat Willow sich unser erbarmt und uns ein richtiges Essen hingestellt.«
»Willow?«
»Billys Frau.«
»Wollen Sie damit sagen, daß es hier noch eine andere Frau gibt?«
»Na klar. Übrigens erwartet sie jederzeit ihr Kind. Und da sie mit Billy und sich selbst schon alle Hände voll zu tun hat, brauchst du gar nicht erst auf die Idee zu kommen, sie um Hilfe zu bitten. Ich habe mein ganzes Leben lang selbst für mich gesorgt, Sharisse. Aber jetzt bist du ja hier …«
Sie riß die Augen auf, als ihr dämmerte, was das heißen sollte. »Aber ich kann wirklich nicht kochen. Ich meine, ich habe es noch nie getan. Es gab immer Bedienstete.« Sie verstummte. Sein Gesicht drückte keinerlei Mitgefühl aus. »Ich nehme an, daß ich es lernen könnte … wenn jemand da ist, der es mir beibringen kann.«
Er brummte. »Ich nehme an, ich kann Billy dazu bringen, dir ein Kochbuch zu besorgen, wenn er heute in die Stadt fährt.« Mit einem unzufriedenen Seufzer ging er auf die Vorratskammer zu.
»Es tut mir leid, Mr. Holt«, sagte Sharisse, die sich gezwungen sah, das zu sagen, obwohl sie selbst nicht so recht wußte, warum.
»Macht nichts«, sagte er über die Schulter. »Solange du kräftig genug für deine anderen Aufgaben bist und schnell dazulernst.«
Eine Stunde später war ihr Kleid mit Mehl und Fett bespritzt, obwohl sie sich eine Schürze umgebunden hatte, und ihre erste Kochstunde zeigte ihr, daß sie gar keinen Spaß daran hatte.
Nach dem Frühstück blieb sie allein am Tisch sitzen, trank noch eine Tasse von dem abscheulichsten Kaffee, den sie je getrunken hatte, und bemerkte plötzlich, daß es ihr überlassen blieb, den ganzen Dreck, den sie beim Kochen gemacht hatten, wegzuwischen.
»Ich könnte schreien!« sagte sie laut vor sich hin,
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