Zärtlicher Sturm
verstummte, denn er wußte selbst, wann seine Zeit gekommen war. Ein seltsamer Mann, dieser Lucas Holt. Meistens freundlich und umgänglich, manchmal kühl und gleichgültig. Er hatte seine Versuche, Lucas zu verstehen, aufgegeben. Solange die Bezahlung gut war,
spielte es keine Rolle, was für ein Mensch er war. Und die Bezahlung war wahrhaft gut.
26
Als Lucas hinzukam, hatte Leon Waggoner sich Sharisse bereits vorgestellt und wollte sich nicht von ihr abwimmeln lassen. Sie hatte inzwischen begriffen, daß das der Mann war, mit dem Lucas sich geschlagen hatte, doch er ließ sich immer noch nicht abschütteln.
Als Lucas ihn vor die Wahl stellte, sich zwischen einem Faustkampf und dem Ziehen seiner Waffe zu entscheiden, verlor er die Fassung.
»Seit sie in der Stadt ist, sind Sie nicht mehr wiederzuerkennen. Sie sind verrückt. Ich lege mich doch nicht mit einem Verrückten an.«
Waggoner drehte sich um und ging.
Sharisse war gereizt, aber ihr Zorn schien Lucas zu gelten. Hatte sie sich etwa nicht vor Leon Waggoner gefürchtet? Lucas wußte nicht, wie ihm geschah.
»Wie machst du das?« beschuldigte sie ihn barsch.
»Was denn, Shari?«
»Manchmal bist du Slade zum Verwechseln ähnlich.«
»So, wirklich?« Er grinste. »Slade wird sich freuen, wenn er das hört.«
»Wieso?« fragte sie vorsichtig.
»Er hat mir alles beigebracht, was ich kann. Du glaubst doch nicht etwa, ein sanftmütiger Mensch wie ich käme hier ohne ein paar Lektionen im Überleben zurecht?«
»Soll das heißen, das alles nur Bluff ist?«
»Natürlich. Was denn sonst?«
Sie runzelte die Stirn. »Warum habe ich dann das Gefühl, daß das, was du sagst, nicht die Wahrheit ist?«
Als er nicht antwortete, fragte sie: »Warum wirst du von der Hälfte aller Menschen hier in der Stadt freundlich behandelt, und warum geht dir die andere Hälfte bewußt aus dem Weg?«
»Das bildest du dir ein, Sharisse.«
»Nein, ganz bestimmt nicht«, beharrte sie. Sein Gesicht zeigte deutlich, daß diese Beobachtung ihm nicht paßte, aber sie mußte Gewißheit haben. »Warum fürchten sie dich, Lucas? Gibt es einen Grund dafür?«
»Sie fürchten sich nicht vor mir, verdammt noch mal. Das weißt du doch selbst.«
»Ist es Slade?«
»Ich möchte wirklich wissen, warum du ständig an Slade denkst!«
»Ich denke doch gar nicht an ihn.«
»So? Ich glaube, mein Bruder hat einen zu starken Eindruck bei dir hinterlassen.«
»Wenn er mich beeindruckt hat, dann damit, daß er arrogant, kalt, herzlos …«
»Das scheint mir doch ein starker Eindruck zu sein.«
»So ein Unsinn!« sagte sie fassungslos. »Ich habe dir doch gesagt, daß ich ihn nicht leiden kann. Ich hoffe, daß ich ihn nie wiedersehe. Aber dann, wenn du dich genauso verhältst wie er, kann ich kaum etwas dagegen tun, daß ich an ihn denke.«
Er sah sie durchdringend an. Was dachte er jetzt? Ahnte er, wie kurz sie davor gestanden hatte, Slades Form von Überredungskünsten zu erliegen?
»In mancher Hinsicht bin ich wirklich ganz wie er, Sharisse«, sagte Lucas schließlich. »Vielleicht ist es gut, wenn du das begreifst.«
Was zum Teufel sollte das jetzt heißen?
27
Sharisse brachte Lucas das Mittagessen in den Stall. Er hatte ihr am Morgen kurz mitgeteilt, er werde mit Billy in die Berge reiten, um nach den Fohlen zu sehen.
Wenn ihr vor drei Wochen jemand gesagt hätte, sie würde sich noch bemühen, diesem Mann zu gefallen, dann hätte sie über diese absurde Vorstellung gelacht. Sie wollte alles tun, damit er sie aus reiner Unzufriedenheit heraus nach New York zurückschickte. Seit ihrem Zusammentreffen mit Leon Waggoner war er mit Sicherheit unzufrieden, und nach ihrer darauffolgenden Auseinandersetzung über Slade hatte er schon fünf Tage lang kaum noch mit ihr gesprochen und sie nicht angerührt.
Es konnte ihr nur recht sein. Schließlich konnte sie jetzt täglich mit einem Brief von Stephanie und mit dem Geld für die Heimreise rechnen. Warum also bemühte sie sich überhaupt um Lucas?
Was für eine undenkbare Situation! Ihre Gefühle waren einfach zu widersprüchlich. Sie war sich nicht mehr sicher, was sie eigentlich wollte. Es war entsetzlich, einen Mann körperlich zu begehren, mit dem sie eine Heirat nie auch nur in Betracht gezogen hätte. Was war bloß los mit ihr? Bei ihr stimmte etwas nicht, und sie mußte die Gefühle ignorieren, die er in ihr wachrief. Sie mußte sich selbst wieder in den Griff kriegen.
Lucas war nicht im Stall, aber Mack war da. Er sattelte
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