Zärtlicher Sturm
die Lucas in ihr wachgerufen hatte, setzten sie einem ständigen Auf und Ab aus, das sie nicht gewohnt war und mit dem sie nicht umgehen konnte. Diese Anspannung laugte sie aus, und sie war mit den Nerven ziemlich am Ende.
34
Eine intensive Herbstsonne brannte auf die ruhige Allee herunter, doch Sharisse, die inzwischen eine heißere Sonne gewohnt war, nahm sie gar nicht zur Kenntnis. Sie stand auf dem Randstein und blickte zu dem Haus der Hammonds auf, als der Fahrer, den sie gemietet hatte, schon längst verschwunden war. Irgendwie kam ihr all das fremd vor. Sie war keine drei Monate von zu Hause fort gewesen, aber ihr erschien es, als seien Jahre vergangen. Störender als alles andere war das Gefühl, daß sie gar nicht hierher gehörte.
Sharisse, die die Stufen sehr langsam hinaufstieg und tief durchatmete, fühlte sich versucht anzuklopfen, doch das hätte feige gewirkt, und diesen Eindruck wollte sie ganz bestimmt nicht vermitteln. Sie schritt mit der Selbstverständlichkeit, als gehöre sie hierher, durch die Tür und blieb dann überwältigt in der riesigen Eingangshalle stehen. Über lange Jahre hatte sie all das als selbstverständlich hingenommen, die marmornen Fußböden, die dicken Tapeten, die Kristalleuchter, diese gesamte unaufdringliche Eleganz.
Sie stand da und wurde sich darüber klar, mit welcher Leichtigkeit sie all das dafür aufgegeben hätte, wieder in Lucas' Edelsteinaugen zu sehen. Dann schalt sie sich selbst aus. Lucas wollte sie nicht haben. Daran mußte sie immer denken, damit sie endlich aufhörte, so oft an ihn zu denken.
»Miß Hammond!«
Sharisse zuckte zusammen, als ihr Name durch den gewaltigen Saal hallte. Mrs. Etherton stand auf dem oberen Treppenabsatz, so steif wie eh und je, wenn sie auch im Moment recht erschüttert war.
»Was ist, Mrs. Etherton?« rief Marcus Hammond durch die Tür seines Arbeitszimmers.
Es folgte absolute Stille. Sharisse rührte sich nicht, kein Muskel in ihrem ganzen Körper bewegte sich, und sie hielt sogar den Atem an. Es dauerte nur einen Moment, bis Marcus Hammond in der Tür auftauchte. Er blieb stehen und starrte sie an, und seine blauen Augen musterten sie flink von Kopf bis Fuß, ehe sie auf ihrem Gesicht haften blieben. Wenn sie damit gerechnet hatte, einen Mann vorzufinden, der krank vor Sorge war, so entsprach das nicht dem Bild, das sich ihr bot. Er wirkte ein wenig müde um die Augen herum, aber ansonsten war kein Unterschied zu erkennen.
Sharisse bemühte sich, keine Regung auf ihr Gesicht treten zu lassen. War das, was sie einen Moment lang auf dem Gesicht ihres Vaters sah, ehe auch er jede Regung aus seinen Zügen verbannte, Erleichterung? Sie konnte es nicht beurteilen, denn eilige Schritte, die hinzuliefen, ließen ihn finster die Stirn runzeln.
Stephanie hatte Mrs. Ethertons Ausruf gehört und rannte hinzu. Auf der Treppe prallte sie fast mit der Haushälterin zusammen. Doch Sharisse bedachte ihre Schwester mit keinem Blick, denn sie konnte ihre Augen nicht von ihrem Vater lösen. Er funkelte sie beide böse an. Dann sagte er zu Sharisse: »Stell diese Sachen ab und komm rein.«
Wie leicht es doch war, sich wieder darauf umzustellen, die Anweisungen dieses Mannes zu befolgen, ohne weitere Fragen zu stellen. Sharisse stellte ihren Koffer und Charleys Körbchen auf dem Fußboden ab und ging durch die Halle, um das Arbeitszimmer ihres Vaters zu betreten. Ein flüchtiger Blick auf ihre Schwester zeigte ihr, wie besorgt diese war, und das trug nur noch zu ihrer eigenen Nervosität bei.
Die Tür schloß sich hinter ihr, und Sharisse wappnete sich für das Bevorstehende. Sie konnte die Stille nicht ertragen. »Du bist immer noch wütend auf mich?«
»Natürlich bin ich noch wütend«, sagte er mit rauher Stimme, doch während er diese Worte aussprach, kam er auf sie zu und zog sie in seine Arme. Er drückte sie so fest an sich, daß sie keine Luft mehr bekam. Dann ließ er sie ebenso plötzlich wieder los. Sie konnte ihn nur noch erstaunt anstarren. Er hatte eine finstere Miene aufgesetzt, doch das konnte sie jetzt nicht mehr ängstigen.
Es war also die Wahrheit. Er hatte sich wirklich Sorgen um sie gemacht. Ihre Erleichterung war so groß, daß sie vor Freude strahlte.
»Ich glaube fast, du hast mich vermißt, Vater.«
»Werd mir bloß nicht frech, Mädchen«, sagte er streng. »Ich sollte dich wahrhaft verprügeln. Was du getan hast, war das Verantwortungsloseste …«
»Das ist mir klar.« Sie schnitt ihm das Wort ab, ehe
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