Zärtlicher Sturm
erst gestern stattgefunden und nicht im letzten Sommer. Und heute hatte er an Antoine gedacht. Antoine hatte nur eins von ihr gewollt, so wie auch dieser Gautier nur eins von seinen Opfern wollte.
Es konnte nicht derselbe Mann sein, aber Lucas wollte verflucht sein, wenn er sich nicht wünschte, er wäre es. Er fühlte sich so elend, weil er selbst Sharisse so schlecht behandelt hatte, daß er gar nichts dagegen gehabt hätte, um ihretwillen ein wenig Rache zu üben. Das Ärgerliche war nur, daß sie nie etwas davon erfahren würde. So unmöglich es ihm gewesen war, sie zu vergessen, so katastrophal würde es andererseits sein, sie jemals wiederzusehen. Er hoffte immer noch, daß sich die Erinnerung mit der Zeit abschwächen würde und daß sein Leid nachlassen würde, daß seine lächerliche Sehnsucht nach ihr ein Ende finden würde.
Ihr hatte es zweifellos keine Schwierigkeiten bereitet, ihn zu vergessen. Die Ehe dürfte schon längst für ungültig erklärt worden sein. Vielleicht hatte sie sogar inzwischen wieder geheiratet. Selbst, wenn er den Wunsch verspürt hätte, sie wiederzusehen, hätte er gar nicht gewußt, wo er sie finden konnte. Das Geld, das er bei einer Bank in New York für sie hinterlegt hatte, war noch da, völlig unberührt. Die Nachforschungen, die er über vier Monate angestellt hatte, hatten zu keinem Ergebnis geführt. Der einzige John Richards, der sich auffinden ließ, war ein immigrierter Hutmacher, der keine Töchter hatte. Es gab keine Mrs. Hammond, auf die ihre Beschreibung paßte, und eine Miß Richards gab es auch nicht.
Henri erzählte Lucas immer noch Dinge über die übrigen Anwesenden, doch Lucas hörte ihm nur sporadisch zu. Schließlich gingen sie auseinander, und Henri begab sich an den Tisch des Herzogs.
Lucas beobachtete weiterhin den schnöselhaften Gautier. Nach einer Weile stand dieser auf und gesellte sich zu zwei Herren, mit denen er offensichtlich bekannt war. Aus ihrer Unterhaltung, die schon bald recht angeregt war, sowie aus den heimlichen Seitenblicken, die sie auf ein hübsches dunkelhaariges Mädchen warfen, das sich am anderen Ende des Raumes aufhielt, konnte Lucas schließen, daß hier eine Wette abgeschlossen wurde.
Seine Neugier lockte ihn an die Bar, an der die drei Männer ihre Unterhaltung gerade beendeten. Er war wirklich dankbar, daß er recht gut Französisch gelernt hatte, weitgehend durch Henri.
»Zwei Wochen?«
»Eineinhalb, Antoine, und keinen Tag mehr.«
»Einverstanden.«
Antoine. War das derselbe Mann? Der Name war in Frankreich keineswegs ungewöhnlich, und zweifellos gab es viele Männer, die es amüsant fanden, junge Mädchen zu verführen, weil ein anderer sie provoziert hatte. Oder weil Wetten abgeschlossen worden waren.
Gautier wirkte sehr selbstzufrieden, als seine beiden Begleiter ihn verließen. Er bestellte sich einen Drink und drehte sich dann um, um das dunkelhaarige Mädchen am anderen Ende des Raumes anzustarren.
»Wenn Sie gestatten.« Lucas bezahlte den Drink und reichte ihn dem kleineren Mann.
Gautier nahm die Einladung an und musterte Lucas prüfend. »Kenne ich Sie, Monsieur?«
»Nein, aber ich glaube, ich habe schon von Ihnen gehört. Antoine Gautier, das sind Sie doch?«
»Ja.«
»Das dachte ich mir nach der interessanten Wette, die ich gerade mit angehört habe.«
Gautier kicherte, und die besorgte Anspannung fiel von ihm ab. »Vielleicht möchten Sie sich meinen Freunden gern anschließen und auch ein bißchen Geld verlieren.«
»Nicht, wenn Sie das Mädchen schon kennen.« Lucas ging ganz auf ihn ein und spielte mit.
»Nein, das Vergnügen, ihre Bekanntschaft zu machen, hatte ich noch nicht«, versicherte ihm der Geck. »Sie hat Claude abblitzen lassen, und das ist der Grund, weshalb er die Wette abschließen wollte.«
»Claude ist einer der beiden Männer, die gerade gegangen sind?«
»Ja. Er hofft, daß er sich damit trösten kann, daß ich es auch nicht schaffe. Aber wenn Sie an meinen Fähigkeiten zweifeln, Monsieur, dann suchen Sie sich irgendein Mädchen in diesem Raum aus. Eine doppelte Herausforderung wäre mir ein Vergnügen.«
Lucas konnte seinen Abscheu kaum verbergen. Die Augen des Mannes strahlten vor Vorfreude. Mit seinen Grübchen und dem Eifer, der auf seinem Gesicht stand, war er regelrecht hübsch. Fühlten sich Frauen denn wirklich von diesem Pfau angezogen?
»Sie scheinen sich Ihres Sieges sicher zu sein«, hob Lucas hervor. »Ich frage mich, wie das kommt.« »Weil es mir nie
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