Zärtlicher Sturm
getäuscht hatte, denn nie ein Ende?
Die Schlußfolgerung, zu der er kam, ließ sie absolut verdammenswert dastehen. Das verzogene reiche Mädchen, das wütend auf seinen Vater war, Lucas' Anzeige als eine Möglichkeit ansah, eine Zeitlang zu verschwinden, und sich keinerlei Gedanken darüber machte, was sie mit ihrem Verhalten anrichten konnte. Sie hatte unter keinen Umständen ahnen können, daß er gar nicht ernstlich eine Frau suchte. Schließlich hätte er ein einsamer Narr sein können, der sich Hals über Kopf in sie verliebte und dem das Herz brach, als sie verschwand. Hatte sie das überhaupt in Betracht gezogen? Machte es ihr etwas aus? Natürlich nicht. Diese Sorte Frau dachte nie an den anderen, immer nur an sich selbst.
Kein Wunder, daß es ihm nicht gelungen war, sie zu finden. Zweifellos besaßen diese inkompetenten Bankiers, denen er die Angelegenheit übertragen hatte, nicht den Verstand, sämtliche Hammond-Haushalte zu überprüfen. Entweder das, oder Marcus Hammond hatte sie dafür bezahlt, daß sie keine Informationen weitergaben.
War das der Grund, aus dem Hammond ihn suchte? Wußte er etwas von dem Geld, das Lucas für Sharisse hinterlegt hatte? Ein Mann seiner Größenordnung konnte darin eine Beleidigung sehen. Aber andererseits konnte es auch sein, daß Sharisse, um ihre eigene Haut zu retten, gebeichtet hatte, wie er sie behandelt hatte. Es war gut möglich, daß Hammond ein erzürnter Vater war, der Vergeltung suchte. Zweifellos hatte sie die Rolle, die sie selbst gespielt hatte, in den unschuldigsten Farben ausgemalt. Lucas lehnte sich zurück, und seine Mundwinkel zogen sich zur Karikatur eines Lächelns nach oben. Ihn den Wölfen vorzuwerfen, war ihr das zuzutrauen? Er schüttelte den Kopf und griff nach der Flasche. Sie hätte die Dinge lieber so belassen sollen, wie sie waren.
37
Sharisse begleitete ihre Freundin Carol Peterson nach Hause, zu einem Haus am Lafayette Place. Dort lag eins der älteren Wohngebiete, das nach wie vor von der Oberschicht besetzt war und dem Fortschreiten des Handels immer noch standhielt. Sheila hätte eigentlich auch kommen sollen, doch da sie nicht erschienen war, hatten Sharisse und Carol gemeinsam einen netten Nachmittag verbracht. Sie waren zwischen dem Union und dem Madison Square spazierengegangen, und Sharisse' Fahrer war ihnen im Schritttempo gefolgt. Natürlich hatten die Mädchen es nicht lassen können, vor den besten Geschäften stehenzubleiben und sich die Auslagen anzusehen.
Sharisse war müde, aber sie hatte es keineswegs eilig, gleich nach Hause zu kommen, obwohl sie für den Abend ein Rendezvous hatte. Sie sagte dem Fahrer, er solle sich Zeit lassen, denn sie wollte den Anblick der Stadt auskosten, die sie so sehr liebte.
Sie erfreute sich an dem Treiben, das auf den Straßen herrschte, doch als sie nach Hause kam und ihren Hut und ihre Handschuhe ablegte, erschien ihr Vater in der Tür seines Arbeitszimmers.
»Ich möchte mit dir reden, Rissy.« »Hat das nicht Zeit, Vater? Robert führt mich heute abend ins Theater aus, und ich habe nicht mehr viel Zeit, um mich fertigzumachen.«
»Dann hättest du eher von deinen Einkäufen zurückkommen sollen«, sagte er unwillig. »Und gerade deine Einkäufe der letzten Zeit sind es, worüber ich mit dir reden will.«
Sharisse seufzte und folgte ihm in sein Allerheiligstes. »Du wirst mich doch nicht etwa maßregeln, weil ich zuviel Geld ausgebe, oder? Ich habe mir doch nur ein paar neue Kleider gekauft, Vater.«
»Ein paar? Ich glaube, letzte Woche wurde mindestens ein Dutzend Schachteln ins Haus geliefert, und täglich kommt mehr.«
»Nun ja, die Tournüre wird wieder modern. Du kannst doch nicht von mir erwarten, daß ich die Mode des Vorjahrs trage, wenn derart drastische Veränderungen vorgenommen wurden. Und außerdem hast du mir noch nie eine gute Garderobe mißgönnt.«
»Das ist nicht der Grund, aus dem ich dich zu mir gerufen habe, Rissy. Von mir aus kannst du dir hundert neue Kleider kaufen. Ich will lediglich wissen, wer sie bezahlt.« »Bezahlt? Was soll das? Du natürlich.« »So, wirklich?«
Sharisse legte die Stirn in Falten. »Ich verstehe kein Wort.«
»Ich war heute morgen zufällig auf dem Broadway und wollte deine Rechnungen begleichen. Aber die Kleider waren schon bezahlt.«
»Joel muß Stephs Kleider bezahlt haben. Sicher ist das nur eine Verwechslung.«
Ihr Vater schüttelte den Kopf. »Dein Vorname war ausdrücklich genannt worden, und in drei anderen
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