Zärtliches Spiel mit dem Feuer
sich.
„Jawohl. Haben Sie ihn dort drinnen gesehen?" fragte die Frau voller Hoffnung.
Charlie vermutete, dass es sich bei dem Ehemann um den Großen, Dünnen und Verzweifelten handelte, um den Mann, der seine letzten Münzen verspielt hatte. Die Sorgen der Frau würden also noch größer werden. Deren Blick fiel jetzt auf den Hut voller Münzen, den Charlie in Händen hielt. Natürlich könnte sie ihr mühelos das Mietgeld geben, doch falls es sich bei dem Ehemann tatsächlich um den Großen, Dünnen und Verzweifelten handelte, könnte er jeden Moment herauskommen, und wenn er dann das Geld in die Finger bekäme, würde er es abermals beim Glücksspiel verlieren. Vielleicht sollte sie der Familie lieber nach Haus folgen und die Miete selbst bezahlen, oder ...
„Da ist er! Papa, Papa!"
Als der Knabe so glücklich losschrie, schrak Charlie zusammen und sah den Mann aus der Spielhalle treten. Es war tatsächlich der Große, Dünne und Verzweifelte. Hier draußen sah er noch schlimmer aus als drinnen. Er war aschfahl im Gesicht und schaute seine Familie mit leeren Augen an, während er langsam auf sie zuging.
Charlie wich zurück, als die Frau sofort von dem Hauswirt berichtete. „Hast du das Geld für die Miete?" wollte sie wissen.
Er umarmte seine Kinder und flüsterte ihnen etwas zu, schien indes der Frau gar nicht zuzuhören. Als diese ihre Frage wiederholte, richtete er sich auf, und bei seinem Anblick lief es Charlie eiskalt über den Rücken.
Er umfasste langsam das Gesicht der Frau und küsste sie beinahe andächtig.
„Es tut mir Leid. Ich liebe dich", flüsterte er. Dann ließ er sie los und trat zurück. Er schenkte ihr noch ein seltsames Lächeln, drehte sich um und trat auf die Straße hinaus - direkt vor einen vorbeikommenden Vierspänner.
12. KAPITEL
"Papa!“
Als Charlie den herzzerreißenden Schrei hörte, blickte sie zu den Kindern hinunter und erkannte, dass dies das letzte Bild war, welches sie von ihrem Vater sehen würden.
Fluchend stopfte sie den Hut in ihre Tasche, drehte die Kinder um und drückte deren Gesichter gegen ihren Gehrock, um sie auf diese Weise vor dem schrecklichen Anblick zu bewahren. Allerdings vermochte sie ihnen die Ohren nicht zuzuhalten. Sie fühlte, wie die beiden Kinder vor Entsetzen zitterten und zu weinen begannen, während ringsum die Panikschreie von Pferden und Menschen zu hören waren.
Radcliffe war dem Mann noch nachgelaufen, um ihn zurückzureißen, doch die Pferde waren schneller gewesen als er. Jetzt kniete er sich neben den zerschundenen Körper. Sein blasses Gesicht sagte Charlie alles, was sie wissen musste. Sie warf einen bekümmerten Blick auf die schweigende Frau neben sich, die sich offensichtlich im Zustand des Schocks befand. Angespannt wartete sie, dass Radcliffe zurückkäme. Vermutlich ahnte sie, was er ihr sagen würde, hoffte indes, dass sie sich irrte.
„Es tut mir sehr Leid. Man kann nichts mehr für ihn tun. Er ist tot.“
Bei diesen Worten brach die Frau zusammen, ließ den Kopf herabsinken, und die Tränen strömten ihr über die Wangen. Einen Augenblick sah sich Radcliffe das mit an, dann stieß er einen schrillen Pfiff aus, was seine Kutsche sofort heranholte.
„Hilf ihnen in den Wagen, Charles“, befahl er. „Ich bin gleich wieder da.“
Charlie nickte und schob die Kinder vor sich her, während der Kutscher vom Bock sprang und den Schlag öffnete. Ein Kind nach dem anderen hob sie in den Wagen und schaute sich dann nach der Mutter um, die noch immer reglos an derselben Stelle stand. Gerade als Charlie zu der Frau gehen wollte, drückte Radcliffe Geld in die Hand eines Mannes, den er beiseite genommen hatte, und ging dann, um der Frau zu helfen. Er nahm sanft ihren Arm, sprach leise auf sie ein und drängte sie derweil zu seiner Kutsche.
Bei seiner sanften Fürsorglichkeit musste Charlie den Kloß in ihrem Hals hinunterschlucken. Dann stieg sie ebenfalls ein und lächelte den weinenden Kindern aufmunternd zu. Gefolgt von Radcliffe, kam nun auch die Witwe. Radcliffe erteilte dem Kutscher einen leisen Befehl. Der Schlag wurde geschlossen, der Kutscher nahm seinen Platz auf dem Bock ein, und der Wagen setzte sich ganz langsam in Bewegung.
Das Schweigen im Inneren der Kutsche war lastend, doch Charlie wusste auch nicht, was sie zu den drei Menschen auf der Sitzbank gegenüber hätte sagen sollen.
Um nicht immerzu in ihre leeren Gesichter schauen zu müssen, sah sie blicklos aus dem Fenster zu den vorübergleitenden
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