Zärtlichkeit des Lebens
eine heiße, langweilige Arbeit gewesen, die bloß Muskeln erforderte und seine Intelligenz kein bißchen strapazierte. Stunde um Stunde, und das sechs Tage pro Woche, verrührte Haladay Sand, Mörtel und Wasser für schwitzende, tabakkauende Maurer in Südkalifornien. Schon mit dreizehn teilte er sein Geld und seine Zeit klug ein. Zwischen den Zementladungen erledigte Haladay kleinere Handreichungen für andere Arbeiter. Er hatte Zimmerleuten und Elektrikern zugesehen und gelernt, zwischen denen, die ihr Handwerk verstanden, und denen, die einem Job nachgingen, zu unterscheiden. Wenn Ingenieure und Architekten auf die Baustellen kamen, fand Haladay immer einen Grund, damit er in ihrer Nähe bleiben konnte. Er hörte zu und nahm ihre Fachterminologie ebenso in sich auf, wie er sich die derberen Ausdrücke der Arbeiter angeeignet hatte. Er lernte schnell und merkte sich alles.
Vier Jahre lang zog er von Baustelle zu Baustelle. Mit siebzehn Jahren hatte er schon seine volle Größe und sein Erwachsenengesicht erreicht und war zum Maurer aufgestiegen.
Niemand fragte nach, als er sein Alter mit einundzwanzig angab.
Er war ein Meter neunzig groß, wog zwei Zentner und hatte Schultern wie ein Bär. Wer sollte da auch schon fragen?
Haladay gab einen Teil seines Lohns seiner Mutter, um ihr beim Unterhalt des Hauses zu helfen, das sie am Stadtrand von Los Angeles gemietet hatte. Seinen Vater hatte er nie gekannt und nie Scham bei dem Begriff ›Bankert‹ empfunden. Er schätzte vielmehr die Tatsache, daß dies bedeutete, daß er mit keinem Mann verwandtschaftlich verbunden und somit auch keinem verpflichtet war. Ein Mann hatte mit seiner Mutter geschlafen und ihn gezeugt. Haladay war überzeugt davon, daß er den Rest selbst schaffen, daß er seine Erfolge wie seine Mißerfolge nur sich selbst verdanken würde. Allerdings gedachte er nicht, viele Fehlschläge einzustecken. Von Kindheit an glaubte er daran, daß jeder Mensch Herr seines Schicksals war. Sobald wie möglich ging er daran, das zu beweisen.
Als er sich den Zwanzigern näherte, sah Haladay noch besser aus. Die helle, rosige Haut, Erbteil seiner irischen Vorfahren, hatte die kalifornische Sonne tief gebräunt. Er war gewitzt genug, seine Zunge zu gebrauchen, um einem Kampf aus dem Weg zu gehen, und stark genug, falls nötig seine Fäuste einzusetzen. Bald hatte er den Ruf eines gutmütigen Rabauken, der sich nicht scheute, für seinen Lebensunterhalt hart zu arbeiten. Er schlief ausschließlich mit Prostituierten, da er keine Gefühlsverwicklungen und keinen zufällig entstandenen Nachwuchs wollte. Frauen im Geschäftsleben begegnete er mit dauerhaftem Respekt.
Mit achtzehn hatte er für Farmore Construction als Maurer zu arbeiten begonnen. Farmore beobachtete ihn, erkannte, daß er Köpfchen und die Fähigkeit hatte, andere anzuleiten, und betraute ihn mit mehr Verantwortung. Haladay verlangte mehr Lohn und bekam ihn auch. Er schloß Freundschaft mit dem Buchhalter und schaute sich einiges von ihm ab. Das einzige, was er zu diesem Zeitpunkt seines Lebens bedauerte, war sein Mangel an formaler Bildung und das Wissen, daß er dieses Versäumnis nicht mehr würde aufholen können.
Dann schlug die Wirtschaftskrise zu, und die Bauindustrie wurde wie alle anderen Industriebereiche ins Chaos geschleudert. Während dieser mageren, verzweifelten Jahre arbeitete Haladay weiter für Farmore, wenn es dort Arbeit gab, und drängte sich nach Gelegenheitsarbeiten, wann immer er konnte. Haladay lernte zu knausern und sich einen Dollar selbst dann dazuzuverdienen, als Nebenverdienste nahezu illusorisch waren. Wenn er eine Frau wollte, verzichtete er aufs Abendessen. Er legte sich Zeitungspapier in die zerlöcherten Schuhe und behalf sich so. Einen Sommer arbeitete er einen Monat lang als Rausschmeißer in einem schmutzigen Rasthaus und kam dort zu der dünnen Narbe, die Sarah an seiner Schläfe bemerkt hatte. Eine zerbrochene Flasche, und der Schnitt mit sechs Stichen genäht.
Während der Wirtschaftskrise lebte Haladay mehr in der Zukunft als in der Gegenwart und erkannte, daß Männer mit Mut und Verstand gerade in einer Zeit der Hoffnungslosigkeit ein Vermögen verdienen konnten. Er verfügte über beides.
Haladay investierte kleine Beträge seines Ersparten an einer noch immer erschütterten Börse. Seine Mutter lief mit einem arbeitslosen Musiker davon und verschwand aus seinem Leben.
Nunmehr allein, zog Haladay aus dem gemieteten Haus aus und schlief auf einer Bank
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