Zahltag
einen Spezialpreis gemacht. "Wegen der alten Freundschaft", hatte er gesagt. Danach hatten sie sich nicht wiedergesehen. Das war nun zehn Jahre her. Wolfgang machte sich auf den Weg. Es war nicht sehr weit.
Das Hotel war gigantisch. Ein riesiger Komplex, der aus dem Boden ragte. Wolfgang wurden die Türen geöffnet und er wurde von jedem Mitarbeiter mit einem Lächeln begrüßt — das passte zu Eduard, das war sein Lebensstil, er wohnte in einem fünf Sterne Hotel. Wolfgang erkundigte sich an der Rezeption nach Eduard, doch er war nicht im Hotel. Er könnte warten, meistens würde er gegen Mittag zum Essen hierher kommen , teilte ihm die Angestellte mit. Wolfgang nahm das Angebot an und setzte sich in die Lobby. Er bestellte nichts, denn er musste sparen. Dann fiel ihm etwas ein: Was sollte er zu ihm sagen? Die Aufgabe war nicht klar. Er hat die Antworten . Antworten auf was? Doch er wurde aus seinen Gedanken gerissen. Eduard von der Bake kam zur Tür herein und wurde von mehreren Angestellten sehr freundlich begrüßt. Er sah immer noch so aus wie früher. Seine Haare waren noch immer pechschwarz, wahrscheinlich gefärbt. Er war groß, sportliche Statur. Er trug einen eleganten Anzug und einen Hut. Der Hut passt gar nicht zu ihm , fand Wolfgang. Er erhob sich aus seinem Stuhl, und noch ehe er etwas sagen konnte, deutete die Rezeptionistin auf ihn. Eduard drehte sich mit einem Lächeln um und kam auf ihn zu.
„Wolfgang? Was machst du denn hier?“
Er war erstaunt, doch auch erfreut. Er gab ihm nicht die Hand, sondern umarmte ihn. Wolfgang war überfordert.
„Was treibt dich nach Warschau?“
„Na ja, das ist eine lange Geschichte.“
Wolfgang wusste nicht, was er sagen sollte.
„Du siehst müde aus. Was ist los?“ Jetzt wirkte Eduard besorgt. „Komm mit. Wir trinken was.“
Wolfgang sagte nichts. Er ging neben Eduard her in Richtung Aufzug. Eduard drückte auf die oberste Etage. Es dauerte eine Ewigkeit , bis der Aufzug stoppte. Wolfgang hatte einen Gang erwartet, doch sie befanden sich direkt in einer Wohnung — einer riesigen Luxuswohnung über den Dächern von Warschau.
„Penthouse“, sagte Eduard.
Wolfgang ging ans Fenster. Immer noch hatte er ein ungutes Gefühl.
Eduard stand hinter ihm und reichte ihm ein Glas. Wolfgang schüttete den Whiskey in einem Zug hinunter. Es tat gut. Eduard tat es ihm gleich.
„Was führt dich zu mir Wolfgang?“
Wolfgang sah seinem Freund in die Augen. Er sah plötzlich die Augen eines Fünfzehnjährigen, der neben ihm in der Schule saß. Eduard war ein guter Freund gewesen, schon immer. Doch was hatte er damals getan? Wie hatte er das geschafft? Viele Jahre hatte Wolfgang diese Frage verdrängt, doch heute würde er die Antwort erhalten. „Mein Sohn ist verschwunden.“
Eduard sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. „Was meinst du mit ‚verschwunden’?“
„Er ist seit über einem Jahr vermisst. Meine Frau hat sich das Leben genommen.“ Wolfgang drehte sich weg. Er bekam einen Kloß im Hals. Wie lange hatte er geschwiegen? Er hatte zu lange für sich alleine gekämpft. Es war an der Zeit, dass sich das änderte. Eduard würde ihm helfen können. Vielleicht.
„Erzähl mir alles. Warum hast du mich nicht angerufen?“
„Ich konnte nicht. Es wäre mir falsch vorgekommen.“
„Aber jetzt bist du hier, warum? Was hat deine Meinung geändert?“
Wolfgang biss sich auf die Lippen. Sollte er ihm alles erzählen?
Moldawien — April 2002
Es war der 9. April 2002 und es schneite wieder. Mila hatte gedacht es wäre endlich vorbei, doch Schnee und Kälte waren zurückgekommen. Thomas und Anna waren da, doch Mila hat keine Lust zu spielen. Sie sah aus dem Fenster ohne Scheibe und beobachtete Thomas, wie er Essen verteilte. Anna spielte mit einem Stein und hüpfte hin und her. Mila kannte das Spiel nicht, das das Mädchen spielte, doch heute wollte sie nicht mitspielen. Heute dachte sie an ihre Mutter — es war Milas Geburtstag. Keiner wusste es und sie sagte es keinem. Vor vielen Jahren hatte ihr ihre Mutter eine Puppe geschenkt. Es war ein altes gebrauchtes Model, doch es war eins der schönsten Geschenke, die Mila je bekommen hatte. Die Puppe konnte Pipi machen, wenn man sie fütterte. Doch die Puppe war lange weg. Sie hatte sie verloren, irgendwann, irgendwo. Mila wusste es nicht mehr. Sie nahm die schöne Mütze ab, die sie von Anna und ihrem Papa bekommen hatte. Diese Mütze würde sie nie wieder verlieren. Plötzlich sah sie das schwarze
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