Zahltag
Auto. Es bog um die Ecke. Mila duckte sich. Sie durften sie nicht sehen. Ihr Herz machte einen Satz. Lange war das schwarze Auto nicht mehr gekommen. Doch dann kam ihr ein anderer Gedanke: Thomas war da, sie konnten ihr heute nichts tun. Heute nicht. Also sah sie noch mal aus dem Fenster. Das Auto stand am Straßenrand, der Fahrer stieg aus. Sie sah die Tätowierung am Hals. Er war ganz nah. Sie sah Thomas nicht, doch sie sah etwas anderes — sie würde es nie wieder vergessen … und Thomas und Anna waren für immer aus ihrem Leben verschwunden. Das war der 9. April 2002, das war Milas elfter Geburtstag.
Heute — Polen, ein Jahr nach der Entführung
Wolfgang schüttete sich das dritte Glas Whiskey in die Kehle. Er fühlte sich besser, befreiter. Er wollte reden. Eduard war der richtige Typ zum Reden. Schon immer haben sie sich geholfen. Ob bei Klausuren, bei Frauen … bei allem eben. Eduard saß in einem Ohrensessel genau gegenüber. Er wirkte überlegen, wie immer.
„Rede endlich, Wolfgang. Das ist ja nicht mehr mitanzusehen.“
„Ich werde erpresst.“
Eduard richtete sich in seinem Sessel auf , stellte sein Glas auf den Tisch und blickte ihn ernst an. „Von wem? Wer erpresst dich und mit was?“
„Der, der meinen Sohn hat erpresst mich.“
„Du weißt, wer ihn hat?“
„Nein, ich weiß nicht, wer es ist. Ich bekomme E-Mails und Briefe. Dort steht, was ich zu tun habe.“
„Zeig mir die E-Mails.“ Eduard stand auf und ging in einen anderen Raum. Er kam mit einem Tablet-PC zurück. „Logg' dich ein und zeig mir die E-Mails.“
Wolfgang tat es.
Eduard sah sich das Video an und las die Mails mehrere Male. Immer wieder kniff er die Augen zusammen. „Jefim Sorokin. Ich kenne diesen Namen.“
„Was? Wer ist der Typ?“
Eduard stand auf und schenkte sich erneut ein Glas Whiskey ein.
„Sag schon Eduard.“
„Er hat für mich gearbeitet, vor einigen Jahren. Das ist lange vorbei.“
„Was hat das mit mir zu tun?“ Wolfgang wurde aggressiv.
„Ich habe keine Ahnung. Ehrlich Wolfgang, ich würde es dir sagen.“
„Was hat er für dich getan ? Welche Arbeit? Sag schon!“
Doch ehe Eduard antworten konnte, klopfte es an der Tür. Wolfgang konnte es nicht fassen. Er brauchte endlich Antworten. Er hat die Antworten . Dieser Satz ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Eduard musste mehr wissen. Er ging hinter ihm her. Warum, das wusste er nicht. Er wollte wissen, wer an der Tür war. Eduard öffnete, eine junge Frau stand vor ihm, sie hielt ein Messer in der Hand.
„Eduard?“ Wolfgang wusste nicht was los war.
Eduard stand in der Tür , starrte auf die Frau hinab — sie war klein und zierlich. Ihre Hände waren nass. Sie zitterte. Eduard realisierte zu spät, was sie von ihm wollte, er wollte die Türe zu schlagen, doch ihre Hand schnellte nach oben. Das Messer war groß. Wolfgang rannte auf die beiden zu, zog Eduard nach hinten, doch das Messer traf ihn mehrmals an Bauch und Hals. Die Frau hatte Kraft. Wolfgang sah ihr tief in die Augen — sie waren blau. Eduard brach zusammen, hielt sich die Hand an den Hals. Das Blut quoll daraus hervor und rann an ihm hinunter. Wolfgang kniete vor seinem Freund. Er sah wieder nach oben, doch die Frau war weg. Sie hatte es nicht auf ihn abgesehen. Es war Eduard, den sie wollte.
„Wolfgang … d… d… das Telefon.“
Er musste Hilfe holen , rief an der Rezeption an. Wenige Minuten später war das Zimmer voll mit Hotelpersonal. Polizei und Rettungswagen waren unterwegs, doch jede Hilfe kam zu spät — Eduard war tot. Er sagte noch einen Satz zu Wolfgang. „Es tut mir leid, mein Freund.“
Wolfgang saß geschockt in dem Ohrensessel , in dem eben noch Eduard gesessen hatte. Die Polizisten sprachen ganz gut Deutsch. Er wurde befragt. Die Überwachungskameras deckten sich mit seiner Aussage, denn die junge Frau war auf mehreren Kameras zu sehen. In seinem Kopf drehte sich alles. Er roch immer noch das Blut, das Blut seines Freundes Eduard. Wie sollte es nun weitergehen? Sollte er mit der Polizei sprechen? Nein, das war keine gute Idee. Er musste auf neue Anweisungen warten. Die Polizei wollte wissen, wo er zu erreichen sei. Er nannte ihnen das Hotel und seine Handynummer. Sie fragten ihn, ob sie noch etwas für ihn tun könnten, doch er verneinte.
Langsam ging er die Straßen entlang. Er fühlte sich benommen, wie auf Drogen. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen, doch er musste sich zusammenreißen. Wer war diese Frau gewesen und was tat
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