Zahltag
ohne dass wir ihn zu
Gesicht bekommen. Mit Ausnahme von Korassidis’ Sekretärin hat ihn keiner je
gesehen. Alle anderen Augenzeugen haben ihn entweder nachts mit einem Basecap
gesehen oder tagsüber mit seinem Motorrad, als er einen Helm aufhatte. Wir
haben keinen einzigen [334] glaubwürdigen Augenzeugen, wir haben kein einziges
Indiz, wir haben rein gar nichts in der Hand.«
»Wissen Sie, wie er mir vorkommt?«, fragt mich Dermitsakis. »Wie
einer jener Obdachlosen, die von morgens bis abends mit ihren ganzen
Habseligkeiten unterwegs sind und jede Nacht woanders Unterschlupf finden. Wie
soll man so jemanden bloß finden? Genauso ergeht es uns mit dem nationalen
Steuereintreiber.«
»Ihr habt in allen Punkten recht«, sage ich. »Aber genau deshalb,
weil die bekannten Methoden hier nicht greifen, müssen wir auf andere Mittel
ausweichen. Es würde uns sehr helfen, wenn wir uns mit den bisher vorhandenen
Erkenntnissen ein Bild des Mörders machen könnten. Doch das fällt nicht in
unseren Aufgabenbereich, dafür brauchen wir einen Psychologen. Kennt ihr
vielleicht jemanden, der uns unterstützen könnte?«
»Ja, Mania«, erklärt Koula.
»Welche Mania?«
»Mania Lagana, eine Psychologin, die bei der Suchtgiftfahndung arbeitet.
Wenn man Drogenabhängige zur Vernehmung bringt oder in Gewahrsam nimmt, wird
sie als Unterstützung hinzugezogen.«
Sie merkt, dass die anderen noch nicht ganz überzeugt sind.
Inwiefern soll uns eine Psychologin, die sich mit Drogenabhängigen beschäftigt,
im Fall des nationalen Steuereintreibers helfen können?
»Lassen Sie sich bitte nicht davon irritieren, dass sie mit
Drogenabhängigen arbeitet, Herr Kommissar. Sie ist eine hervorragende Fachfrau,
blitzgescheit und sehr gebildet.«
Einerseits begeistert mich ihr Vorschlag wenig, doch [335] andererseits
denke ich mir, dass wir momentan keine bessere Lösung haben und die Sache
irgendwie anpacken müssen. Ich schicke meine Assistenten wieder an ihre Arbeit
zurück und fahre hoch zu Gikas’ Büro.
»Er ist allein, aber ich muss Sie warnen: Er ist gereizt und gar
nicht gut drauf«, informiert mich Stella mit einem Lächeln.
Die Gemütsbeschreibung erweist sich als zutreffend, da Gikas mich
mit grimmigem Gesicht empfängt. »Wir haben noch eine Leiche an der Backe, ich
weiß schon Bescheid.«
Ich hebe zum Rapport an, was stets Vorrang hat. In seiner Miene
spiegelt sich die Enttäuschung darüber wider, dass meine Schilderung sich durch
nichts von allen vorangegangenen Lageberichten unterscheidet. Er hört mir zu,
als würde ich ihm die Zusammenfassung eines Films erzählen, den er schon
dreimal gesehen hat.
»Wir müssen handeln, Kostas«, sagt er, als ich geendet habe. »Ich
weiß zwar nicht, wie, aber wir müssen unbedingt etwas unternehmen. Jetzt setzt
mich nicht nur der Minister unter Druck, sondern auch noch der
Polizeipräsident. Andauernd ruft er mich an, und ich habe nichts vorzuweisen.
Sie können sich vorstellen, was passiert, wenn er von dem neuen Todesfall
erfährt.«
Da bringe ich die Idee mit dem Polizeipsychologen ins Spiel, und
schlagartig erhellen sich seine Züge. »Na endlich!«, ruft er freudig, und wie
zur Bestätigung wiederholt er gleich noch einmal: »Na endlich! Seit Jahren
versuche ich Sie davon zu überzeugen, dass die Profiler des FBI wertvolle Arbeit leisten, aber Sie, als waschechter
Grieche, haben stets die hiesige Krämermentalität vertreten. Jetzt, da Sie
nicht [336] mehr ein noch aus wissen, kommen Sie auf meine Anregung zurück. Spät,
aber doch!«
Wie ein begossener Pudel lasse ich den Wortschwall über mich
ergehen, da er mir tatsächlich seit Jahren mit seinen profiles und seinen FBI -Methoden, die ich innerlich
als Ami-Scheiß abtue, in den Ohren liegt.
»Man hat mir Mania Lagana empfohlen«, würge ich hervor.
»Bravo, Kostas! Sie lassen sich nicht nur endlich auf meine Anregung
ein, sondern wählen auch gleich die richtige Person aus. Letztlich sind Sie wie
ein Elefant. Sie kommen zwar langsam in Schwung, aber wenn Sie mal in Fahrt
sind, dann kann Sie nichts mehr stoppen. Mania leistet bei der
Suchtgiftfahndung hervorragende Arbeit. Sechtaridis hält große Stücke auf sie.
Wenn sie heute im Dienst ist, schicke ich sie Ihnen gleich vorbei.«
Ich fahre zu meinem Büro hinunter und rufe Koula zu mir, um ihr zu
gratulieren. »Herzlichen Glückwunsch, das war ein Volltreffer! Gikas hat die
Lagana in den höchsten Tönen gelobt.«
Sie blickt mich pikiert an, als hätte ich etwas
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