Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
Wort.
    »Steckt ein Pfeil?«
    [327]  »Ja. Wie alte Krieger…«
    »Haben Sie jemand anderen in der Nähe gesehen?«
    »Nein, Straße am Morgen immer leer«, sagt die Erste.
    »In Ordnung, ich brauche Sie nicht länger«, sage ich zu den Frauen
und wende mich dann an den uniformierten Beamten. »Nehmen Sie sie im
Streifenwagen mit zum Revier, damit sie dort die offizielle Aussage
unterschreiben. Sonst verschwinden sie womöglich auf Nimmerwiedersehen.«
    Ich nehme den Fahrstuhl in die dritte Etage. Zu Karadimos’
Büroräumen gelangt man durch die zweite Tür rechts, auf der
»Berufsbildungsinstitut Progress – Zentrale« steht. Auf mein Klingeln hin
öffnet mir die junge Frau von vorhin und führt mich in ein Büro, in dem mich
eine Mittfünfzigerin empfängt. Auch sie kenne ich bereits, da sie während der
Befragung der Putzfrauen an mir vorübergegangen ist.
    »Stefania Archontidi, Herr Kommissar. Ich bin Herrn Karadimos’
Stellvertreterin.« Sie streckt mir ihre zitternde Rechte entgegen, während sie
sich bemüht, ihre Bestürzung unter Kontrolle zu bringen.
    »Progress ist ein Berufsbildungsinstitut, wenn ich richtig
informiert bin«, sage ich.
    »Genau. Wir haben fünf Institute in Athen, drei in Thessaloniki,
zwei in Patras und einige weitere in anderen größeren griechischen Städten.«
    »Gehörte das Unternehmen voll und ganz Herrn Karadimos?«
    »Ja, er war der alleinige Eigentümer. Wissen Sie, unsere Abschlüsse
werden von zahlreichen ausländischen Universitäten anerkannt.«
    [328]  »Hat Herr Karadimos selbst unterrichtet?«
    »Nein, er war Verwaltungsdirektor. Obwohl er Bauingenieur war, hat
er selbst nie unterrichtet.«
    »Wie viel Personal ist in der Zentrale beschäftigt?«
    »Wir sind zu zwölft.«
    »Können Sie mir einen Überblick über die Arbeitszeiten von Herrn
Karadimos geben?«
    »Selbstverständlich. Herr Karadimos achtete nicht nur sehr streng
auf die Arbeitszeiten aller Mitarbeiter, sondern hielt auch seine eigenen
penibel ein. Normalerweise kam er um neun Uhr und arbeitete bis um zwei. Danach
besuchte er unsere Zweigstellen. Für gewöhnlich kam er gegen fünf wieder und
arbeitete dann bis spätabends. Wir haben um sechs Uhr Büroschluss, aber er ging
immer als Letzter und verließ das Haus nie vor acht.«
    Stavropoulos’ Auskunft ist somit überflüssig. Der nationale
Steuereintreiber hat Karadimos gestern Abend beim Verlassen des Bürogebäudes
getötet. Da die Gegend nach Büroschluss vollkommen unbelebt ist, haben ihn die
Putzfrauen erst heute früh gefunden.
    »Könnten Sie Ihre Kollegen hereinbitten, da ich Sie noch kurz
gemeinsam befragen möchte?«
    Wortlos verlässt sie das Büro und kehrt kurz darauf mit der jungen
Frau und dem Mann wieder, den ich ebenfalls von vorhin kenne. In ihrer
Begleitung befindet sich ein weiterer, etwas jüngerer Mitarbeiter um die
dreißig.
    »Ist in den letzten Tagen im Büro etwas Ungewöhnliches vorgefallen
oder haben Sie etwas Auffälliges beobachtet?«
    Sie blicken einander an und schütteln alle gleichzeitig den Kopf.
    [329]  »Sind verdächtige Besucher aufgetaucht, die womöglich zum ersten
Mal hier waren?«
    »Nein, Herr Kommissar. In der Zentrale haben wir keinen
Publikumsverkehr. Hierher kommen bloß die Zweigstellenleiter oder Lehrkräfte,
aber auch nur, wenn sie von Herrn Karadimos herbestellt werden. Für unsere
Kurse schreibt man sich direkt an unseren Instituten ein, und die Kursgebühren
bezahlt man auf das Bankkonto der entsprechenden Niederlassung.«
    Da er nicht vorhatte, Karadimos eine Injektion zu verabreichen, war
ein persönlicher Besuch – wie noch bei Korassidis – unnötig. Er konnte sich
darauf beschränken, die gewohnten Wege und Arbeitszeiten des Opfers
herauszufinden. Ein Punkt muss jedoch noch geklärt werden: Im Untergeschoss des
Bürohauses befindet sich eine Garage. Aus welchem Grund sollte Karadimos das
Gebäude zu Fuß verlassen und nicht mit seinem Wagen?
    »Hatte Herr Karadimos kein Auto?«, frage ich die Angestellten.
    »Doch«, antwortet die junge Frau.
    »Können Sie mir dann erklären, wieso er das Bürohaus durch den
Haupteingang verlassen hat und nicht mit dem Auto durch die Garagenausfahrt?«
    Sie verständigen sich durch Blicke, als wollten sie einander bei der
Beantwortung der Frage den Vortritt lassen. »Sehen Sie, Herr Karadimos war kein
besonders guter Autofahrer«, sagt schließlich der junge Mann. »Er tat sich
schwer damit, den Wagen aus der engen Garage zu fahren. Immer wieder bekam

Weitere Kostenlose Bücher