Zahltag
Schreiben noch einmal
ansehen.«
Die Fensterchen schließen sich, und langsam flimmert der Text des
Briefs über den Bildschirm, den der nationale Steuereintreiber an die Medien
geschickt hat.
Der griechische Staat hat mich
betrogen. Er hat mich um die zehnprozentige Provision geprellt, das heißt um
780000 Euro, die mir angesichts der Geldsumme zustehen, die ich den
Staatskassen eingebracht habe. Demzufolge habe ich nicht vor, mich weiterhin
für den griechischen Staat einzusetzen und mich um die Eintreibung von Steuern
zu kümmern. Da mir der Staat meinen rechtmäßigen Lohn vorenthält, werde ich
ganz im Gegenteil all jene, die sich dank ihrer Beziehungen zum politischen
System bereichert haben, liquidieren. Die ersten beiden Opfer sind bereits
bekannt.
[346] Loukas Sissimatos war
Gewerkschaftsfunktionär und in der Folge Parlamentsabgeordneter. In beiden
Eigenschaften legte er allen in- und ausländischen Firmen, die in Griechenland
Windparks errichten wollten, Steine in den Weg. In der Zwischenzeit reiste er
sowohl als Gewerkschafter als auch als Parlamentarier auf Spesen etliche Male
ins Ausland, um sein eigenes Windparkunternehmen auf die Beine zu stellen. Für
die Gründung seiner Firma griff er auf Bankkredite zurück, die ihm dank seiner
Verbindungen zu politischen Kreisen genehmigt wurden. Und obwohl er die Kredite
nicht zurückzahlte, gelang es ihm, immer neue zu bekommen. Darüber hinaus
erhielt er zweimal eine EU-Strukturhilfe aus dem Dritten Gemeinschaftlichen
Förderkonzept, während andere Personen und Unternehmen heute noch auf zugesagte
Gelder warten.
Theodoros Karadimos war Generalsekretär im
Ministerium für öffentliche Arbeiten und ein Produkt des verfilzten
Parteiensystems. Woher nahm er das Kapital, um griechenlandweit eine ganze
Kette von Berufsbildungsinstituten zu gründen? Und warum musste er die Kredite,
die er aufnahm, nie bedienen, wo doch die Banken anderen kleinen und mittleren
Unternehmen selbst Kleinstkredite verweigern? Darüber hinaus hat Theodoros
Karadimos ebenfalls von EU -Fördergeldern aus dem Nationalen Strategischen Rahmenplan
profitiert.
Jeder griechische Bürger hat das Recht, von
den Verantwortlichen zu erfahren, wie es Loukas Sissimatos und Theodoros
Karadimos gelungen ist, eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung zu
ergattern, um Gelder aus [347] dem Dritten Gemeinschaftlichen Förderkonzept und
dem Nationalen Strategischen Rahmenplan zu erhalten, obwohl sie beide dem
Fiskus Geld schuldeten – 900000 Euro der eine und 650000 Euro der andere.
Die Troika soll das tun, was sie für richtig
hält. Ich hingegen ziehe die von Apollon vorgeschlagene Lösung vor, wie Homer
sie im 1. Gesang der Ilias, Vers 43-52, beschreibt.
Also rief er betend; ihn hörete Phöbos Apollon.
Schnell von den Höhn des Olymps enteilet’ er zürnenden Herzens,
Auf der Schulter den Bogen und rings verschlossenen Köcher.
Laut erschollen die Pfeile zugleich an des Zürnenden Schulter,
Als er einher sich bewegt’; er wandelte, düster wie Nachtgraun;
Setzte sich drauf von den Schiffen entfernt und schnellte den Pfeil ab;
Und ein schrecklicher Klang entscholl dem silbernen Bogen.
Nur Maultier’ erlegt’ er zuerst und hurtige Hunde:
Doch nun gegen sie selbst das herbe Geschoss hinwendend,
Traf er; und rastlos brannten die Totenfeuer in Menge.
Der nationale Steuereintreiber hat es geschafft, dass mir die Buchstaben
vor den Augen tanzen. Ich mache den Fernseher aus, um wieder zu mir zu kommen.
»Der gibt euch ganz schön Zunder«, bemerkt Adriani.
»Mehr noch, der macht uns richtig Feuer unterm Hintern«, [348] erwidere
ich und greife zum Telefon, um Spyridakis vom Amt für Steuerfahndung anzurufen.
»Haben Sie das auch gerade gesehen?«, fragt er mich.
»Ja, und morgen früh würde ich gerne zusammen mit Ihnen zu einem der
beiden Finanzämter fahren, am besten zu dem, das für Sissimatos zuständig war.«
»Und was wollen Sie dort herauskriegen?«
»Wie die beiden an ihre Unbedenklichkeitsbescheinigungen gekommen
sind. Mich interessiert, wer ein gutes Wort für sie eingelegt hat.«
»Ich rufe Sie morgen früh an, wenn ich weiß, bei welchem Finanzamt
wir anfangen.«
»In meinem Kopf dreht sich alles. Komm, lass uns was essen«, meint
Adriani, als ich auflege.
Während des Essens werde ich ihr von Sissis erzählen. Dann wird es
ihr richtig gut schmecken.
[349] 45
Spyridakis wartet auf der stadtauswärts führenden Seite
des Kifissias-Boulevards vor dem
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