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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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die Augen geöffnet hast.«
    »Du wärst auch von allein draufgekommen«, erwidert er. »Nur hättest
du vielleicht etwas länger gebraucht, und die Sache wäre dann nicht mehr
rückgängig zu machen gewesen. Ich habe nur versucht, dir die Folgen etwas
früher vor Augen zu führen.« Dann fügt er fast feierlich hinzu: »Nach dem
Bürgerkrieg gehörte ich der Generation der Niederlage an. Noch eine Generation,
die mit einer Niederlage aufwachsen muss, kann dieses Land nicht verkraften.«
    Schweigen macht sich am Tisch breit. Jeder von uns denkt wohl gerade
über seine eigene Niederlage nach. Uns verbindet, dass wir uns alle auf eine
gewisse Art als Verlierer fühlen.
    Adriani steht auf, um den nächsten Gang zu holen. Auf Lambros’
Teller legt sie eine gefüllte Tomate und eine Paprika. Gleich beim ersten
Bissen lässt er unwillkürlich ein wohliges Brummen hören, das bei Adriani als
höchstes Lob ankommt. Er isst mit Appetit und sagt nicht nein, als Adriani ihm
einen Nachschlag anbietet.
    »Woher haben Sie gewusst, dass gefüllte Tomaten mein Lieblingsessen
sind?«, fragt er sie.
    »Ich sehe schon, warum Sie sich mit meinem Mann so gut verstehen«,
meint sie belustigt, bevor sie mit einem Schlag wieder ernst wird. »Auch ich
möchte mich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie Katerina geholfen haben. Und ich
freue mich, dass unsere Tochter jemanden gefunden hat, der ihr in wichtigen
Fragen beisteht. Eltern sind da nicht immer die besten Ratgeber.«
    [374]  »Wäre Katerina ausgewandert, hätte ich sie sehr vermisst«, lautet
Sissis’ einfache Erklärung. Dann wirft er Katerina einen Blick zu, den sie mit
einem verschwörerischen Lächeln erwidert. Diese leise Vertrautheit geht mir ein
wenig gegen den Strich, obwohl ich keinen Grund zur Eifersucht habe.
    Es ist schon sechs Uhr, als Sissis aufbricht. Zunächst küsst er
Katerina, dann folgt eine Runde Händeschütteln.
    »Vielen Dank für die Einladung«, sagt er förmlich zu Adriani. »Ich
habe mich sehr darüber gefreut und bin sehr gern gekommen. Wirklich«, fügt er
noch hinzu, als fürchte er, sie könnte es ihm sonst nicht glauben.
    Er hat jedoch nicht damit gerechnet, dass Adriani solche Aussagen
stets wörtlich nimmt. »Das glaube ich erst, wenn Sie ohne offizielle Einladung
spontan einfach mal vorbeikommen.«
    »Komm, ich fahr dich nach Hause«, sage ich zu ihm.
    »Lass nur, ich nehme den Bus.«
    »Schon gut, heute ist Sonntag, und es wird nicht gestreikt. Aber ich
möchte dich trotzdem gern heimfahren.«
    Er gibt seinen Widerstand auf und nimmt neben mir im Seat Platz.
Während der ganzen Fahrt wechseln wir kein Wort. Ich überlasse ihn ganz seinen
Gedanken und Eindrücken. Außerdem sind die Straßen leer, und die Fahrt dauert
nicht lang.
    Als wir vor seinem Haus stehen, blickt er mich an. »Nimm es bitte
nicht persönlich, was ich dir jetzt sage«, beginnt er. »Ich hätte nie mit euch
tauschen wollen. Sowohl in der Besatzungszeit als auch im Bürgerkrieg wart ihr
für mich immer nur armselige Lakaien und verkappte Faschisten. Aber heute habe
ich dich um deine Familie beneidet.«
    [375]  Dann öffnet er den Wagenschlag und steigt grußlos aus. Ich sehe
ihm nach, bis er in seinem Haus verschwindet, und schlage den Rückweg ein.

[376]  49
    Sissis’ gestriger Besuch hat mich etwas abgelenkt, doch
heute Morgen sind mir all meine Sorgen umso deutlicher wieder ins Bewusstsein
gerückt. Schon während der Autofahrt zerbreche ich mir den Kopf, wie ich das
Knäuel entwirren und den Faden finden könnte, der mich am Ende zum nationalen
Steuereintreiber führt. Mania Lagana schlägt mir vor, bei den Archäologen
anzusetzen. Ja schön, aber wie? Soll ich Merenditis fragen, wen er für
verdächtig hält, und mir diese Gruppe dann vorknöpfen? Wo soll man in einem
Land, in dem es genau so viele Archäologen wie antike Fundstücke gibt, mit
einer derartigen Suche anfangen? Als ich mein Büro erreiche, ist mir ganz schwummrig,
weshalb ich beschließe, meine Gedanken zu ordnen und einen Aktionsplan zu
entwerfen. Doch unversehens steht Koula vor mir.
    »Der Herr Kriminaldirektor möchte Sie sprechen. Sie sollen sofort in
sein Büro kommen, es ist dringend.«
    Wenn es bei der Polizei dringend ist, dann ist das wie bei einem
Notfall im Krankenhaus: Es ist nichts Erfreuliches zu erwarten. Ich hebe mir
meinen Kaffee und mein Croissant für später auf und fahre in die fünfte Etage
hoch, wo ich Gikas in Gesellschaft von Lambropoulos und Spyridakis antreffe.
    »Setzen Sie

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