Zahltag
bedrückten Stimmung zu entfliehen, und andererseits,
um zu sehen, ob in den Nachrichten über den Lazaridis-Mord berichtet wird. In
einem Dialogfensterchen erblicke ich den Vizefinanzminister, der bei der
nachmittäglichen Besprechungsrunde auch dabei war. Wenn man sich reihenweise
Ohrfeigen einfängt, will einem das Auftauchen eines Ministers oder Vizeministers
im Interviewfensterchen der Nachrichtensendung nichts Gutes bedeuten. Also
warte ich darauf, Neuigkeiten über die Vereinheitlichung der Besoldungsordnung
zu erfahren oder darüber, welche Zulagen man uns jetzt wieder kürzen will. Zu
meiner großen Überraschung höre ich jedoch ganz andere Dinge, wobei ich mir gar
nicht sicher bin, ob sie weniger unangenehm sind als die Beschneidung unserer
Zulagen.
»Können Sie sich vorstellen, was das für ein Schlag für die
Autorität des Staates und den Ruf unseres Landes ist?«, fragt die Moderatorin
den Vizefinanzminister. »Jahrelang versprechen uns Finanzminister und Staatssekretäre
jeglicher Couleur, der Steuerhinterziehung einen Riegel vorzuschieben und die
Schuldigen zu bestrafen. Doch die Steuerhinterziehung blüht und gedeiht wie nie
zuvor, und die Steuersünder laufen frei herum. Und plötzlich taucht aus [151] dem
Nichts ein Mörder auf, der genau Ihre Arbeit erledigt: Er bestraft die Steuersünder.«
»Es handelt sich um einen Serienkiller«, erwidert der Vizeminister.
»Ein Serienkiller knöpft sich bestimmte Personen vor«, entgegnet
Sotiropoulos, der neben der Moderatorin sitzt. »Er betreibt keine akribischen
Recherchen, um Steuersünder ausfindig zu machen und mit seinem Detailwissen
anzuprangern.«
»Was soll da der einfache Bürger denken, Herr Minister?«, fragt die
Moderatorin. »Und was unsere Gläubiger in der EU ?
Dass unser Staat nicht imstande ist, Steuerhinterzieher zu eruieren, ein Mörder
jedoch schon? Werden sich morgen die griechischen Bürger nicht fragen, ob der
Staat nicht vielleicht die Dienste eines solchen Mörders braucht, um die
Steuern einzutreiben? Sonst werden doch bloß diejenigen weiter geschröpft, die
ohnehin schon zahlen!«
»Zunächst einmal steht noch gar nicht fest, ob die Opfer tatsächlich
Steuersünder sind«, entgegnet der Vizeminister.
»Das sagen Sie«, erwidert Sotiropoulos. »Schauen wir doch mal, was
uns der Mörder selbst dazu zu sagen hat.«
Plötzlich flimmern die beiden Schreiben über den Bildschirm, zuerst
das an Korassidis, dann das an Lazaridis. Au weia, denke ich mir, da braut sich
gewaltig was über unseren Köpfen zusammen! Nach einem kurzen Zapping durch die
Fernsehprogramme stelle ich fest, dass sich alle Privatsender mit demselben
Thema befassen. Nur das staatliche Fernsehen widmet sich anderen Dingen.
»Im Ernst? Gibt es da einen, der Steuersünder umbringt?«, fragt
Adriani.
[152] Da ich gebannt das Geschehen auf dem Bildschirm verfolge, nicke
ich nur wortlos.
»Und du willst ihn jetzt dingfest machen?«
»Was denn sonst?«
»Ja gut, das ist fraglos deine Aufgabe. Aber lass ihn doch noch ein
bisschen frei herumlaufen. Vielleicht zahlen die Steuersünder ja dann, und ihr
könnt ein bisschen was von euren Zulagen behalten.«
»Er treibt die Steuern nicht ein. Er bringt die Leute einfach um«,
erläutere ich ihr.
»Wie Sie sehen, hat der Mörder alles genau berechnet, sogar die zu
zahlende Steuer«, bemerkt die Moderatorin, an den Vizeminister gerichtet.
»Die Regierung braucht keinen Mörder, um Steuern einzutreiben«,
erwidert der Vizeminister salbungsvoll und versucht die klassische Variante:
den heroischen Abgang. »Durch die neue Steuergesetzgebung, die in Vorbereitung
ist, werden alle zur Kasse gebeten.«
Die Moderatorin und Sotiropoulos brechen in Gelächter aus. »Das neue
Steuergesetz, Herr Minister?«, fragt die Moderatorin. »Das wievielte ist es
denn? Innerhalb von zwei Jahren haben Sie vier oder fünf Gesetzesentwürfe
erarbeitet. Die genaue Zahl weiß ich nicht mehr, weil ich den Überblick
verloren habe. Kein einziger hat bislang Früchte getragen. Warum glauben Sie,
dass es gerade mit diesem frisch eingebrachten Gesetz anders laufen sollte?«
Die Antwort des Vizeministers entgeht mir, da das Telefon läutet und
Gikas am Apparat ist.
»Bei uns gibt’s eine undichte Stelle«, ruft er völlig außer sich.
»Jemand hat die Sache an die Sender durchsickern lassen.«
[153] »Bei der Polizei gibt’s keine undichte Stelle«, erkläre ich
ruhig.
»Ich weiß zwar nicht, wie Sie dazu stehen, aber ich
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