Zahltag
deinen
Mann verlassen und dein ganzes Leben hier aufgeben?«, ruft sie. »Wozu hast du
so lange studiert? Wozu haben wir dafür Jahr für Jahr unser ganzes Geld zusammengekratzt?
Um dir eine Ausbildung zu ermöglichen, mit der du ausgerechnet in Uganda einen
Job findest?«
Jetzt erhebt Katerina ihrerseits ihre Stimme – doch nicht aus Wut,
sondern aus Verzweiflung. »Was soll ich denn sonst tun, Mama? Okay, vorläufig
kann Fanis die Wohnung noch finanzieren, und ihr könnt mir mit Lebensmitteln
aushelfen. Aber was ist, wenn morgen Fanis’ Gehalt noch mehr zusammengestrichen
wird oder Papas Zulagen weiter gekürzt werden? Wie sollen wir dann über die
Runden [207] kommen? Wo sollen wir das Geld für unseren Lebensunterhalt
herzaubern?«
»Dieser Zustand kann ja nicht ewig dauern. Wir müssen alle den
Gürtel enger schnallen und so lange durchhalten, bis sich die Lage bessert.«
»Aber wie lang denn noch, Mama? Gib mir irgendeine Perspektive, und
ich bleibe hier.«
Notgedrungen hüllt sich Adriani in Schweigen. Auch Fanis sagt
nichts. Und auch ich bleibe stumm, aber aus einem anderen Grund. Denn ich habe
die beiden jungen Leute vor Augen, wie sie Arm in Arm mitten im Parthenon-Tempel
in ihrem Blut liegen. Besser, sie wandert aus, sage ich mir. Wenn sie hier
bleibt, weiß ich nicht, wozu die Hoffnungslosigkeit sie noch treibt. Besser,
sie geht weit fort. Mir ist lieber, wir sehen sie monatelang nicht. Kummer und
Sorgen nehme ich in Kauf. Alles ist besser als der Tod.
»Fanis, was sagst du eigentlich dazu?«, erkundigt sich Adriani.
»Die Entscheidung liegt nicht bei mir, sondern bei Katerina«, gibt
Fanis zurück. »Ihr geht’s viel schlechter als mir. Ich kann, nur weil wir
verheiratet sind, nicht von ihr erwarten, dass sie tatenlos dasitzt und nichts
unternimmt.«
»Und wie gehst du damit um?«, will Adriani von ihm wissen. »Kehrst
du zum Junggesellendasein zurück? Isst du dann wieder in der Garküche oder
kommst zu uns, wenn du mal wieder etwas Warmes kriegen möchtest?«
»Ich werde nicht zu euch kommen müssen. Vergiss nicht, dass ich als
Student von zu Hause ausgezogen und nach Athen gekommen bin. Also kann ich mich
durchaus selbst versorgen. Aber das wird gar nicht nötig sein.«
[208] »Fanis und ich haben eine Lösung gefunden«, mischt sich Katerina
ein. »Fanis hat mit der Organisation ›Ärzte ohne Grenzen‹ gesprochen, die
Niederlassungen in allen drei Ländern hat. Ich werde erst einmal allein hinfahren
und mich dort einrichten, und dann kommt Fanis nach und arbeitet für ›Ärzte
ohne Grenzen‹.«
Wie früher die Gastarbeiter, denke ich mir. Genauso sind sie damals
aufgebrochen. Zuerst ist der Mann nach Deutschland ausgewandert, hat nach
Arbeit gesucht, eine Wohnung gefunden und dann seine Frau nachgeholt. Die
Kinder blieben einstweilen bei den Großeltern zurück. Nicht anders als die
Auswanderer, die nach Amerika oder Australien gegangen sind. Bei Katerina und
Fanis ist es zwar umgekehrt – sie sondiert die Lage, bevor er nachzieht –, doch
das spielt weiter keine Rolle. Ausschlaggebend ist, dass wir Griechen immer zum
Ausgangspunkt zurückkehren. Wir legen eine bestimmte Strecke zurück, machen
aber nicht vom erreichten Ziel aus weiter, sondern fangen nach einigen Jahren,
nach einem Rückschlag, wieder von vorne an. Ich tröste mich mit dem Gedanken,
dass Fanis und Katerina wenigstens keine Kinder haben, die sie bei uns
zurücklassen müssten.
»Und du willst wirklich deinen Posten im staatlichen
Gesundheitswesen aufgeben?«, höre ich Adriani zu Fanis sagen. »Nur ein
Wahnsinniger lässt in Zeiten wie diesen eine Beamtenstelle sausen.«
»Der öffentliche Dienst ist auch nicht mehr das, was er einmal war«,
erwidert Fanis. »Kostas hat nur noch ein paar Jahre bis zur Rente. Bei mir ist
das etwas anderes. Der Staat macht eine Hungerperiode durch und kann uns nicht
mehr ernähren.«
[209] »Wenn wir zurückkommen, dann ziehen wir nach Volos, Mama. Mit dem
ersparten Geld kann Fanis eine Praxis einrichten und ich eine
Rechtsanwaltskanzlei eröffnen oder als Partnerin bei einer bestehenden Kanzlei
einsteigen.«
Genauso haben es die Gastarbeiter gemacht. Sie haben ihr Geld in
Deutschland auf die hohe Kante gelegt und dann nach ihrer Rückkehr einen
kleinen Laden oder ein Hotel eröffnet. Meine Tochter und mein Schwiegersohn
planen – als Gastarbeiter mit Hochschulabschluss – auch nichts anderes, nämlich
die Rückkehr zum Ausgangspunkt.
Katerina steht auf, um ihre Mutter
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