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Zahltag

Zahltag

Titel: Zahltag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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unangekündigten Besuch in die fünfte Etage
hoch. »Herr Spyridakis und ich hätten etwas Dringendes mit dem Herrn
Kriminaldirektor zu besprechen«, erkläre ich Stella.
    Gikas empfängt uns ungnädig. »Schlechte Neuigkeiten behalten Sie am
besten für sich«, stellt er von vornherein klar. »Der Minister hat mir heute
Morgen ordentlich die Laune verdorben.«
    »Unsere Neuigkeiten sind möglicherweise gar nicht so schlecht«, sage
ich.
    »Dann bin ich ganz Ohr.«
    Als ich ihm Spyridakis’ Liste unter die Nase halte, wirft er einen
kurzen Blick darauf und fragt: »Was ist das?«
    »Eine Aufstellung der in den letzten zehn Tagen bei den Finanzämtern
beglichenen Steuerschulden. Mehr als sieben Millionen Euro.«
    »Na bravo! Aber wieso servieren Sie mir das als gute Nachricht?
Soviel ich weiß, hat mich das Personalkarussell der Sparmaßnahmen noch nicht
ins Finanzministerium verschlagen.« Er hält inne und fügt dann vergrämt hinzu:
»Obwohl, so wie die Dinge liegen, kann das ja noch kommen.«
    »Herr Spyridakis ist der Meinung, das alles sei das Werk des
nationalen Steuereintreibers.«
    Er greift zu ganz ähnlichen Argumenten wie ich. »Möglich, aber nicht
gezwungenermaßen. Vielleicht haben sie ja von sich aus gezahlt, weil sie
befürchteten, sonst ebenfalls ermordet zu werden.«
    [214]  In der letzten Zeit haben sich meine Prophezeiungen immer
bewahrheitet. So auch jetzt: Kaum hat Gikas ausgeredet, tritt Stella mit einem
Briefumschlag herein.
    »Das hat Koula für Sie vorbeigebracht«, sagt sie zu mir.
    Ich reiße das Kuvert auf und ziehe einige kurze Schreiben heraus.
Das erste enthält eine Nachricht an Polatoglou.
    Sehr geehrter Herr Polatoglou,
    erfreut nehme ich zur Kenntnis, dass Sie
sich zur Tilgung Ihrer Steuerschuld entschlossen haben. Somit kann von der
Liquidierung Ihrer Person abgesehen werden.
    Der nationale Steuereintreiber
    Der zweite, gleichlautende Brief ist an Fedon Peletis gerichtet,
der eine Steuerschuld von vierhunderttausend Euro beglichen hat.
    Der dritte Text ist keine Kurzmitteilung, sondern das übliche
Mahnschreiben und daher von größerem Interesse.
    Sehr geehrter Herr Evangelos
Langoussis,
    Ihr Hotelunternehmen schuldet dem Staat
900000 Euro. Bis heute haben Sie mit Hilfe diverser legaler Kunstgriffe und
Winkelzüge erreicht, dass Ihnen diese Steuerschuld gestundet wird.
    Hiermit fordere ich Sie auf, diese innerhalb
der nächsten fünf Tage zu tilgen. Leider ist keine Teilzahlung möglich. Daher
ist die ganze Summe auf einmal zu entrichten.
    Widrigenfalls wird anders abgerechnet, und
Sie werden liquidiert.
    Der nationale Steuereintreiber
    [215]  »Sie haben ins Schwarze getroffen«, sage ich zu Spyridakis.
»Er jagt nicht nur die Steuerhinterzieher, sondern auch die Steuerschuldner.«
    »Das ist konsequent und effizient zugleich. Nur, damit stellt er das
Finanzministerium noch ärger bloß. Es ist, als ob er den Leuten sagte: ›Seht
her, in nur zehn Tagen habe ich schon so viele Steuern eingetrieben, die den
Finanzbehörden seit Jahren entgehen.‹«
    »Über eine Sache wundere ich mich, Herr Spyridakis«, meint Gikas.
»Wo treiben die Leute in so kurzer Zeit so viel Geld auf? Gehen wir jetzt
einmal davon aus, dass Polatoglou dreihunderttausend auf der hohen Kante hatte.
Aber im Fall von Langoussis sprechen wir von neunhunderttausend Euro, die auf
einen Schlag gezahlt wurden. Wo stammt das ganze Geld her?«
    »Mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit würde sich bei einer
Kontenüberprüfung herausstellen, dass das Geld aus dem Ausland stammt. Er
zwingt diejenigen, die ihr Geld auf ausländische Konten verschoben haben, es
wieder ins Land zurückzuholen.«
    »Gut, aber wieso lassen sich die Leute darauf ein?«
    Jetzt antworte ich anstelle von Spyridakis. »Als ich Polatoglou
getroffen habe, hat er zu mir gesagt: ›Was sind dreihunderttausend im Vergleich
zu einer Million, die man im Falle einer Entführung bezahlen müsste?‹ Hier
liegt meiner Ansicht nach der Knackpunkt. Der Täter hat alle davon überzeugt,
dass er wie ein Kidnapper vorgeht: Wenn nicht bezahlt wird, macht er ernst.«
    »Das wird den Minister auf Trab bringen«, bemerkt Gikas. »Aber
sorgen Sie bitte dafür, dass nichts nach außen dringt.«
    [216]  »Genau wie bei den Mahnschreiben wird der Täter schon selbst
dafür sorgen, dass die Neuigkeit die Runde macht«, antworte ich. »Nicht, um das
Staatsdefizit zu verringern, sondern damit die ganze Welt erfährt, wie tüchtig
er als nationaler Steuereintreiber

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