Zahltag
keine Möglichkeit zur Zensur haben.«
[222] Ich lasse ihn allein, damit er sich seelisch auf das Telefonat
mit dem Minister vorbereiten kann. Es mag ja sein, dass sich alle meine
Voraussagen bewahrheiten, denke ich mir, während ich zu meinem Büro
hinunterfahre, doch dem nationalen Steuereintreiber bin ich dadurch noch keinen
einzigen Schritt näher gekommen.
[223] 29
Die Namensliste des nationalen Steuereintreibers ist die
Spitzenmeldung auf allen Kanälen. Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk
bildet da keine Ausnahme. Offenbar hält die Regierung diesmal eine
Geheimhaltung für überflüssig. Ich erkläre Adriani in wenigen Worten den
Sachverhalt, damit sie weiß, was auf sie zukommt. Trotzdem bin ich fast noch
überraschter als sie, als ich feststellen muss, dass auf der Liste der TV -Sender noch zwei weitere Namen aufscheinen, die die
Gesamtsumme auf sieben Millionen achthunderttausend hochtreiben. Offensichtlich
war Spyridakis’ Liste nicht vollständig. Andererseits könnte auch die Tilgung
der Steuerschulden in der Zwischenzeit einfach weitergegangen sein.
Nachdem sich Adriani die einführenden Worte der Moderatorin angehört
an, liest sie die Liste durch. Schließlich schlägt sie das Kreuzzeichen und
meint: »Herr, steh mir bei! Unsere frischgebackenen Doktoren sehen sich
gezwungen, nach Uganda auszuwandern, während ein Mörder die Steuern eintreibt,
die eigentlich der Staat einkassieren sollte. Was für ein unwürdiges
Schauspiel!«
Ich mische mich nicht ein, da ich voller Neugier auf den Kommentar
der Moderatorin warte. »Wir werden gerade Zeugen eines noch nie da gewesenen
Phänomens, meine Damen und Herren. Und das gilt nicht nur für Griechenland, [224] sondern weltweit. Einem Mörder ist es gelungen, sieben Millionen achthunderttausend
Euro an Steuern einzunehmen. Und das in einer Zeit, in der weder der Staat noch – entgegen allen erklärten Bemühungen – die Regierung irgendwelche Erfolge im
Eintreiben von Steuern verzeichnen.« Sie hält inne und wendet sich an den gegenübersitzenden
Nachrichtenkommentator. »Wie lautet Ihre Einschätzung, Nikos?«
»Tja, Eleni, in der Tat handelt es sich um ein weltweit
einzigartiges Phänomen«, bestätigt er. »Doch das ist vermutlich zweitrangig
angesichts der Tatsache, dass der selbsternannte nationale Steuereintreiber
etwas geschafft hat, worum sich der offizielle Staat seit Jahrzehnten erfolglos
bemüht. Es ist ihm geglückt, den öffentlichen Kassen innerhalb von zehn Tagen
eine für griechische Verhältnisse enorme Summe zuzuführen.«
»Hören wir uns einmal an, was der stellvertretende Finanzminister
dazu zu sagen hat«, schlägt die Moderatorin vor.
»In seiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken«, lautet Adrianis
Zwischenbemerkung.
Das für Liveschaltungen typische Fensterchen öffnet sich und zeigt
den Vizefinanzminister. Auch mir ist schleierhaft, wie er jetzt argumentieren
will. Doch im Grunde erübrigen sich alle Worte, denn seine Miene spricht Bände.
»Herr Minister, wie kommentieren Sie die neue Wendung im Fall des
selbsternannten nationalen Steuereintreibers?«, fragt die Moderatorin.
»Eins möchte ich gleich klarstellen: Die griechische Regierung ist
nicht auf die Mithilfe eines Mörders angewiesen, [225] um die fälligen Steuern
einzunehmen«, entgegnet der Vizeminister großspurig.
»Ja, aber erwiesenermaßen ist die Regierung ohne sein Zutun nicht in
der Lage dazu«, hält ihm der Nachrichtenkommentator vor. »Während im Parlament
ein Gesetzentwurf nach dem anderen eingebracht wird, hat der Mörder, wie Sie
ihn titulieren, der Staatskasse innerhalb von nur zehn Tagen 7,8 Millionen Euro
eingebracht. Und das in einer Zeit, in der die Regierung öffentlich eingestehen
muss, dass die Staatseinnahmen den Erwartungen hinterherhinken.«
Nacheinander hageln die Fragen der Moderatorin auf den
Vizefinanzminister ein. »Meinen Sie nicht, dass sich dadurch für die Regierung
ein gewaltiges moralisches Problem ergibt?«
»Diese Ansicht teile ich absolut nicht, sondern ich sage Ihnen noch
einmal: Der Staat ist auf die Mithilfe eines Mörders nicht angewiesen, um zu
seinem Recht zu kommen.«
»Also gut, wenn der Staat die Unterstützung eines Mörders nicht
nötig hat, damit die Steuerzahler ihren Pflichten nachkommen, wären Sie dann
bereit, die auf diese Weise entrichteten Beträge zurückzuerstatten?«, hakt der
Nachrichtenkommentator nach.
»Ha, garantiert nicht!«, zischt Adriani verächtlich, und ihre
Zweifel
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